Die drei Fassungen
Von den Höhlenkindern gibt es meines Wissens 3 Versionen: das Buch von A. Th. Sonnleitner, zwischen 1916 und 1920 entstanden, unsere Verfilmung (also die von meinem Vater Peter Podehl als Drehbuchautor und Regisseur) von 1962 und die italienische von Marcello Aliprandi von 1984.
Das Buch von Sonnleitner ist sehr dick und als solches wohl kaum in vollem Umfang verfilmbar.
Inhalt des Buches ist die Entwicklung der Menschen aus der Steinzeit bis zum 30jährigen Krieg, also bis zu den Anfängen der Industrialisierung, mit allen technischen und menschlichen Fort- und Rückschritten. Eva und Peter sind eingeschlossen in ein Tal, aus dem es kein Zurück gibt, und sie werden so zu den Wieder-Erfindern und Ausführern dieser Entwicklung in nur einem Menschenleben. Was natürlich auch etwas unwirklich wäre.
Aber es ist eben eine Geschichte.
Und als solche sehr gut geschrieben. Da gibts für jeden etwas, die Mädchen lesen wohl eher mal die Beschreibung, wie Eva das Färben (wieder)erfindet, und die Jungen, wie Peter Erz zum Schmelzen bringt.
Es gibt Krach, Liebe, Kinder, Tod und am Ende eine Zukunftsperspektive.
Die technischen Details werden gut kinder- und jugendgerecht dargestellt und auch die menschlichen Beziehungen, – zumindest andeutungsweise – zwischen Eva und Peter, zwischen Mutter und Kind, Sohn und Vater usw.
Zielgruppe waren die damaligen Heranwachsenden.
Ich habe es sehr gerne gelesen, aber eben schon so ein paar eher technische Teile überlesen, oder gar übersprungen.
Das Buch wurde vor hundert Jahren geschrieben und dafür ist es erstaunlich realistisch, auch wenn die weiblichen Seiten, also Menstruation, Schwangerschaft und Geburt nur angedeutet werden. Damals war das sicher sehr mutig.
Unsere Version der “Höhlenkinder”, die 1961 gedreht wurde, ist keine individuelle Arbeit, sondern Teamwork.
Das bedeutet, da haben viele mitgemischt. Produzent und Geldgeber als erste, am Ende der Sender, der nicht genug Sendezeit hatte, um die ganze 12teilige Serie zu zeigen, weshalb also alles zu 10 Folgen zusammengeschnitten wurde.
Mittlerweile habe ich aus Peter Podehls Aufzeichnungen aus der damaligen Zeit allerdings auch entdeckt, dass nach dem Schnitt 18 Minuten für die volle Sendezeit von insgesamt 5 Stunden (d.i. 12 x 25 Minuten) fehlten.
Das Drehbuch wurde vierhändig (von Peter Podehl und Produzentensohn Uli Schonger) geschrieben, wobei wohl Peter Podehl den größten Teil zu verantworten hat, auch – und insbesondere – das Weglassen von Kitsch. Er habe das Drehbuch “entniedlicht”, schreibt er im Tagebuch.
Der 2. und der 3. Teil der Geschichte aus Sonnleitners Buch wurden alsbald beiseite gelegt, wenngleich das Buch Peter Podehl im Frühjahr 1960 zunächst mit der Bemerkung ausgehändigt worden war, man könne daraus unendlich viele Fernsehserien machen.
Die Verfilmung eines Buches ist immer eine Reduktion, eine Auswahl.
Peter Podehl selbst hat aus dieser Erkenntnis zwei andere Fernsehserien entwickelt: “Aus dem Bücherschrank geholt”, wo er Jugendlichen die Weltliteratur vorstellt, aber eben nur vorstellt, als Anregung, das Buch selbst zu lesen; und später “Lemmi und die Schmöker”, eine ebenfalls sehr beliebte Serie, in der mit den Hohnsteiner Puppen und der damals revolutionären, elektronischen BlueBox-Technik Kinderbücher vorgestellt wurden.
Mit den “Höhlenkindern” sollte eine Kinder- und Jugendfernsehserie – die erste deutsche Fernsehserie für Kinder überhaupt – entstehen, und was wünschen sich Kinder sehnlicher, als fern von den Erwachsenen solidarisch auf eigenen Beinen zu stehen. Das sind die entscheidenden Elemente fast aller Kinder- und Jugendbücher. Um womöglich dann den Erwachsenen beizubringen, wie es geht.
Anfang der 60er Jahre war die Zielgruppe eine neue Generation, die vom gerade mal anderthalb Jahrzehnte zuvor noch wütenden Krieg nichts mehr miterlebt hatte, wohl aber ihre Eltern.
Da saß dann auch manch körperlich oder seelisch schwerst traumatisierter Vater oder Mutter neben den in Freiheit und Wirtschaftswunderwohlstand heranwachsenden Kindern gemeinsam vor dem Fernseher.
Das Kinderfernsehangebot war noch sehr knapp. Ich erinnere mich, dass es Ende der 50er Jahre, als der erste Fernseher in unser Haus kam, 3x die Woche eine halbe Stunde Kinderfernsehen gab.
Deshalb sorgten die Höhlenkinder natürlich für tolle Aufregung unter den Kindern und Jugendlichen, es kamen viele begeisterte Zuschauerbriefe, was bedeutete, Papier und Stift nehmen, schreiben, dann noch mal in Schönschrift, in einen Umschlag stecken, Senderadresse ausfindig machen, Briefmarke drauf und in den Briefkasten stecken.
Natürlich kamen auch enttäuschte Briefe, meist von Erwachsenen – eher Großeltern, als Eltern -, die sich eine “echte” Verfilmung des Sonnleitner-Buches erwartet hatten.
Aber bei meinen Interneterkundungen finde ich immer noch viele Kinder von damals, die heute noch kundtun, wie traumhaft schön die Serie doch war.
Und wenn ich heute schon pensionierte Fans darauf aufmerksam mache, dass Eva und Peter sich ein paar Folgen lang mutterseelenalleine durch die wilde Natur kämpfen und dann endlich nach einer gefährlichen Seeüberquerung an einer Stelle an Land kommen, wo man am oberen Rand des Bildes Autos fahren sieht, weil der Kameramann nicht richtig aufgepasst hatte, dann sind sie heute noch erstaunt und gestehen, dass sie die Autos nie bemerkt haben.
Kinderfernsehen hat was – viel – mit Zauberei zu tun. Die Tricks und Fehler sieht das damals verzauberte Kind heute noch nicht.
Aber dann kommt wieder eine neue Generation, für die Krieg Großmuttergeschichten, Film und Fernsehen mit wesentlich raffinierteren Techniken Gang und Gäbe sind, und die finden die ollen alten Höhlenkinder von damals natürlich ziemlich überholt.
Peter Podehls Leitfaden für die inhaltliche Auswahl war, wie ich ja schon sagte, die Fähigkeit der Kinder, sich solidarisch alleine durchzuschlagen, in den heimlichen Grund zu gelangen und sich dort häuslich einzurichten.
Und da hapert’s ein wenig im Sonnleitnerischen Buch. Da ist Peter eben doch oft herrisch, eigenwillig und rücksichtslos, Eva ist anfangs noch ein Kind, das weint, dann leidet sie ihr ganzes Leben lang viel, kämpft aber nicht, sie isoliert sich. Die Emotionen zwischen den beiden stimmen nicht so ganz. Um nicht zu sagen, sie treten kaum auf. Davon aber lebt ein Kinderfilm, alle Filme.
Peter Podehl kannte seinen Beruf, beschäftigte sich sehr intensiv mit dem Sonnleitnerschen Buch, versuchte, eine buchgetreue Verfilmung zu schaffen und gab recht bald auf, zu “mager” bemerkt er an mehreren Stellen seiner Vorarbeit, “zu wenig”. Damit wäre er bei seiner damaligen Zielgruppe nicht gelandet.
Daher die Entscheidung, das Buch als Anregung zu nehmen. Der Produzent selbst wollte von Anfang an allen im Buch vorhandenen Aberglauben rauslassen, der bei Sonnleitner Anlass für Fluch und Flucht ist. Alle waren sich einig, dass es Austausch mit der Außenwelt geben sollte und dass die Kinder am Ende der Serie wieder unter die Menschen zurückkehren. Es sollte kein Sequel geben.
Also:
– 30jähriger Krieg, oder der 2. Weltkrieg?
– Herrischer Peter und leidende Eva, oder Gleichstellung?
– Fokus auf technischen Fortschritt, oder auf die Überlebenskünste der Kinder?
– Nebeneinander her lebende oder gar gegeneinander kämpfende Kinder, oder Solidarität, gegenseitige Hilfe, Anerkennung des Anderen, Vertrauen?
Die Entscheidung fiel selbstverständlich auf Letztere, was dann ganz schön weit vom Buch weg führte.
Der Erfolg gab ihnen Recht.
Und ja, als einmal feststand, dass nicht das ganze dicke, ein ganzes Menschenleben überspannende Buch verfilmt werden sollte, hat Peter Podehl an seine Tochter gedacht, die gerade im richtigen Alter war, und ihr die Rolle der Eva auf den Leib geschrieben.
Ich spiele die Eva nicht, ich BIN das, oder heiße eben da mal zeitweise Eva. Was mir damals nicht unbedingt klar war. Er sah mich so, machte aber nicht viel Aufhebens um sein Schreiben. Womöglich war ihm selbst das nicht so ganz bewusst. Nach den Höhlenkindern war meine schauspielerische Karriere bereits zu Ende.
Und noch eine kleine Anmerkung:
Sicher ging es Peter Podehl nicht um die Verarbeitung eigener Kriegstraumata, das hatte er schon umfangreich absolviert. Ich verweise auf “Tagebuch und Testament eines Unbekannten“, “Kommen und Gehen“, “Eupa und Ro” (kommt bald) und “Möglichkeiten“.
In seinem Kommentar zur Wiederholung Anfang der 80er Jahre schreibt er:
“Der Zeitgenosse Autor konnte 1960 angesichts der vielen Kinderschicksale, Kleine und Kleinste, die ihre Eltern durch die Kriegswirren verloren hatten, nicht anders als von 1944/45 erzählen.”
Der die italienische Fassung von 1984 – “I ragazzi della valle misteriosa” – firmierende Drehbuchautor Urs Eplinius bezeichnet seine Arbeit ehrlicherweise als Adaptation der deutschen Fernsehfassung von 1962.
Das heißt, die Dramaturgie ist und bleibt die von Peter Podehl. Man geht zurück in den 30jährigen Krieg, also Kostüme von damals; Max, der Soldat, ist eine Podehl-, Schonger’sche Erfindung, in der italienischen Fassung verwandelt er sich in Lapadu, unser deutscher Peter war robust, der italienische ist schön, das ist bei Italienern nun mal wichtig, die ganze Ästhetik ist italienisch.
Und verdammt kitschig. Überall wird auf die Tube gedrückt, so die Ahnl, die nicht gleich über die Leiter in den heimlichen Grund kommt, sondern erst mal höchste Zitterspannung fördernd lange über dem Abgrund hin- und herschwankt. Ich gestehe, ich habe es mit Müh und Not geschafft, gerade mal die erste Folge zu Ende zu sehen. Dann hatte ich genug.
De gustibus.
Tatsache ist, dass diese Serie hier in Italien wenig Anklang fand, ich selbst hatte nie davon gehört, meine Kinder wären damals im richtigen Alter gewesen, haben aber selbst nie von “I ragazzi della valle misteriosa” gehört, geschweige denn irgendwelche Folgen gesehen. Und es gibt heute auch nur die deutsche Fassung auf Video, die italienische fand ich nirgends.
Und zuletzt zum “Unrealistischen”:
In einer Kritik wird bemängelt, dass Eva und Peter immer ziemlich gekämmt seien und die Haare gar nicht länger würden.
Das erinnert ich mich an die damalige amerikanische Serie “Fury”, wo rund um die Ranch des Jungen die unglaublichtsen Gefahren lauern. Eines nachts wird er und die gesamte Familie durch irgendwelche Bösewichte aus dem Schlaf gerissen, und dann weist der rechtschaffene Junge – perfekt gekämmt, mit Scheitel und ordentlich zugebundenem Morgenrock – die Bösen zurecht. In Film und Fernsehen waren die Guten immer perfekt geschminkt, gekämmt und angezogen, selbst wenn sie gerade aus einem tosenden Eisbach geklettert waren.
Bösewichte waren ungekämmt.
Diese Symbolik hat sich im Laufe der Jahrzehnte natürlich geändert und verfeinert.
Claudia Podehl ©