Warum schüttelt’s die Deutschen?

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Warum schüttelt’s da die Deutschen?

Wolfgang, der Regisseur, und die 77-jährige Margot sitzen sich gegenüber, ganz überrascht, in Rom aufeinander getroffen zu sein. Er hat sie dem sonderbaren männlichen Wesen, das auf der anderen Seite neben mir sitzt, als seine zweite Mutter vorgestellt. Mir gegenüber seine Freundin, die für Radio Hamburg in Rom lebende Deutsche interviewt. Etwas später trifft’s mich dann auch, aber zunächst wollte sie ja die Straßenfeger auf dem Campo de’ Fiori aufnehmen, die zu ihrem Erstaunen am Tag zuvor beim Marktgemüse Wegfegen gesungen haben. Heute ist ein zwischen Sonne und Regengüssen wechselnder Oktobertag, und da kommt für römische Träller nicht die richtige Stimmung auf. Doch die Journalistin ist nun wiederum erstaunt, dass die Straßenfeger, als ein Regenguss niedergeht, unter das Vordach unserer Trattoria flüchten und vom Wirt ein Gläschen Wein spendiert bekommen.

Die Stimmung unter uns zwischen penne all’arrabbiata und saltimbocca alla romana ist schwärmerisch. Ach, was ist Rom für eine schöne Stadt, und die Kastendecken, die man da sieht, wenn die Fenster geöffnet sind, und die Platanen am Tiberufer. Ja, hast du denn wieder einen neuen Film gedreht? Sag mal, Claudia, wie viel kosten denn Italienischstunden bei dir? Aber vorhin, da waren wir doch auf dem Kapitol, und was ist das denn eigentlich für ein Bogen, den man da sieht, wenn man auf das Forum hinunterblickt. Ja, natürlich, ich habe mehrere Filme gedreht. Aber Rom ist wirklich wunderbar, ich finde manchmal, dass die Römer diese Stadt eigentlich gar nicht verdient haben.

Ich ärgere mich über diese gedankenlose deutsche Arroganz und schlage zurück:

“Schließlich sind es ja die Römer, die diese Stadt so gebaut haben!”

Wolfgang kassiert ein. Ich habe seit diesem Mittagessen nichts mehr von ihm gehört.

An einem heißen Juliabend sitze ich auf Hannelores Dachterrasse vor dem Ministero del Lavoro. Über uns kreischen die Schwalben, dazwischen flattern Fledermäuse. Wir sind vollkommen durchgedreht, fast am Ende von den vierhundert Seiten Mondriankatalogübersetzung angekommen. Wir kichern vor Erschöpfung vor uns hin. Eine Amerikanerin und eine Holländerin, Hannelores Untermieterinnen, schwärmen davon, was Rom doch so schön sei. Da erzähle ich die Geschichte von Wolfgang. Allgemeine Entrüstung für so viel deutsche Hochnäsigkeit, dass ich den armen Regisseur am Ende sogar verteidige. Rom ist nun mal ziemlich unordentlich, da hat er schon Recht.

In meinem vom skurrilen bis bizarren Kunstkritikerenglisch des französischen Mondrianexperten recht verwirrten Gehirn steigt eine Vision auf. “Stellt euch mal vor, wir würden Rom von den Römern befreien und mit lauter Deutschen füllen, damit die hier endlich mal Ordnung machen!” An den Gesichtern meiner mehrsprachigen Gesprächspartnerinnen entlese ich, dass auch sie Visionen haben:

Fünf Millionen Deutsche in Rom!

Ja, richtig symmetrisch angereihte, farblich abgestimmte Geranien an den Fenstern! Aber nur Geranien! Und nicht dieses Gemisch, der eine hat Blumen, der andere nicht, die müssten für jede Fassade alle gleich sein.

Und die Fassaden wären alle makellos neu gestrichen, wundervoll sauber, keine Schmierereien drauf.

Und auch keine halb abgerissenen Plakate.

Und dann würde man auch dieser Wasserverschwenderei ein Ende machen, da käme bestimmt kein Wasser mehr aus den Straßenbrunnen.

Und die Straßen, endlich ordentliche Spurstreifen, schön solide, schneeweiß, richtige Spuren, aus denen man nicht rausfahren darf, die Autos alle schön neu, ordentlich geparkt, nicht ein Rad auf dem Bürgersteig, und auch kein Auto in der zweiten Reihe geparkt.

Ich habe diese Geschichte oftmals erzählt, die Deutschen hat’s dabei jedes mal geschüttelt und dann haben sie ihre eigenen Visionen hinzugefügt:

Ja, und ganz ordentlich geputzte Treppen in den Häusern. Mein Bruder, der lebt in Schwaben, der hat da seine Putzwochen. Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie blank die da alles putzen müssen!

Neffe Julian ist besonders entsetzt: Nicht ein einziges kleines Unkräutchen auf den Ruinen, da in Ostia Antica!

Und die Spanische Treppe, die ist ja ganz windschief, die Deutschen würden sie endlich mal grade rücken, heize ich weiter auf.

Nein, nein. Das wäre das Ende von Rom. Das wäre das Ende der Stadt Rom!

Herr Fröhlich, der sehr ordentliche Sprecher beim Hessischen Rundfunk, meint, ich solle die Geschichten mal alle aufschreiben.

Huhu, prustet Thomas, nachdem es auch ihn heftig geschüttelt hat, den Kohl!! Den schicken wir nach Rom, zum Saubermachen!!

Der wird nämlich gerade von allen Deutschen verpönt, wegen der Spendenaffäre.

Auch Dino, dem ebenfalls in Rom verliebten Mailänder Gewerkschafter, habe ich sie erzählt, mit all den hinzugekommenen Schüttelfrostvisionen. Er hörte sehr aufmerksam zu, schnaufte ein wenig und erklärte zuletzt: “Mica male, l’idea. I romani, nel frattempo, li mandiamo a Francoforte.” (Gar nicht so schlecht, diese Idee. Die Römer schicken wir in der Zwischenzeit nach Frankfurt.)

Claudia Podehl
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