Unheimlich?

Peter Podehl antwortet auf den Brief einer Mutter

© Peter Podehl

Stellungnahme zum Brief von Frau Viktoria von N. vom 6. Januar 1963

Ich habe zwar bedauerlicherweise das MAGAZIN DeR WOCHE am 6. Januar nicht gesehen, kann mir aber kaum vorstellen, dass darin für eine völlige Eliminierung des Unheimlichen – dieses Wort von Frau N. stehe hier einmal für den fraglichen Komplex von Begriffen – aus allen Sendungen für Kinder und Jugendliche plädiert wurde. Es stünde bei einem solchen Purismus arg um die klassische und moderne Jugendliteratur von den alten Märchen bis zu Erich Kästner und PETER PAN.

Man kann natürlich auf dem Standpunkt stehen, dass Kindern jegliche Abbildung des Unheimlichen vorenthalten werden sollte. Über den Wert solcher Hygiene sind sich allerdings die Gelehrten ja wohl nicht einig; wenn ich recht unterrichtet bin, sind es die modernen Psychologen, die vor einer so rationalen, sterilen Pädagogik warnen.

Furcht und Mitleid zu erregen, ist seit Aristoteles das Programm des Dramas, auch des anspruchslosen, auch des Fernsehfilms für Kinder und Jugendliche. Vielleicht – auch weil Aristoteles dabei allein von der Tragödie ausging – sollte man die uns heute etwas pathetisch klingenden Vokabeln durch den Begriff der Anteilnahme ersetzen. Jeder Autor und Regisseur wird versuchen, sie im Beschauer zu wecken – durch Witz, Kampf, Tod, Liebe, Schrecken und andere Ingredenzien. Zu ihnen gehört als durchaus legitim, so will mir scheinen, auch das Unheimliche.

Das Unheimliche, das ein steter Begleiter unserer Existenz, auch der kindlichen, ist. Zum Beispiel bei jedem Verkehrsunfall, ja selbst bei jedem um Haaresbreite verhinderten Verkehrsunfall – und ich möchte nicht zählen, wie viele es deren täglich gibt, in die Kinder verwickelt oder eben zum Glück eben nicht verwickelt sind – sitzt es uns doch spürbar genug im Nacken, in den Haaren, die sich sträuben.

Freilich lässt sich mit dem Unheimlichen viel Schindluder in allen Kunst- und Kitschgattungen treiben, wie billige Krimis tausendfach beweisen.

Jedoch: ein von seiner Einheit abgesprengter Landser, ohne Gepäck, und gewiss nicht ohne Grund unrasiert, offensichtlich entwaffnet – denn Peter findet vor seinem Auftauchen eine heile Pistole ganz in der Nähe seines Verstecks,- der von zwei Kindern mit Pfeil und Bogen bedroht wird, gehorsam die Arme hebt und seine Feldpostnummer stottert und so vom Unheimlichen zum Hilflosen, ja Armseligen wird, – auf solchen Mann und solchen Vorgang wollen mir die Worte “schrecklich, grässlich, v ö l l i g  unangebracht, überflüssig und grundfalsch” absolut nicht passen.

Ob diese Angst, die dieser Landser wecken sollte und geweckt hat, nicht vielleicht heilsam ist und beiträgt zur Verurteilung des Krieges als dem Vater solche Nöte und Gräuel?

Zur Frage der Modernisierung des Stoffes:

Sonnleitners Buch spielt allerdings in unkriegerischer Zeit: 1683. Es ist jedoch zu unterstellen, dass der 35 Jahre vorher beendete Dreißigjährige Krieg durchaus noch nicht vergessen war. Auf Kriege pflegt höchst selten ein Wunder wie dasjenige zu folgen, in dem wir gegenwärtig leben dürfen; ich meine das weniger ironisch, als es vielleicht klingen mag. 

Der Anlass für die Flucht in den Heimlichen Grund ist im Buch jedenfalls nichts weniger als dramatisch, ja grausam: Evas Großmutter wird als Hexe verfolgt. Auf den ersten sieben Druckseiten zähle ich die Worte Hexenprozess und Scheiterhaufen zweimal (letzteres einmal in Verbindung mit “brennen”), und je einmal die Worte Hexe, Hexerei, Martertod, Soldknechte, Flüchtlinge, Verfolger und Gericht.

Von Peter heißt es: “Seine Mutter, auch eine Flüchtige, wie es damals viele im Lande gab, war im einsamen Bergwald bei der Geburt eines toten Mädchens in den Armen der ihr völlig fremden alten Frau gestorben… Peter, der so viel Böses erlebt hatte, war ein früh gereifter, fleißiger Bub.”

Angesichts solcher Zitate scheint mir der Gedanke nicht sehr abwegig, das Buch für eine Verfilmung zu modernisieren, um jegliche Möglichkeit zu einer verniedlichenden oder gar märchenhaften Idylle auszuschalten. Wir suchten nach der Form, bei der wir mit der stärksten und ernsthaftesten Anteilnahme der jugendlichen Zuschauer rechnen durften und wollten vermeiden, dass die in den 50er und 60er Jahren Heranwachsenden auf die Idee kommen könnten, dergleichen Dinge seien nur in finsteren, vergangenen Jahrhunderten geschehen, während doch das Flüchtlingselend nicht lang vergangener Jahre den Vergleich mit dem siebzehnten Jahrhundert unseligerweise nicht zu scheuen braucht, und zynische und ernsthafte Propheten von einem möglichen Rückfall unserer ganzen Zivilisation in die Steinzeit sprechen.

Plp

München, den 20. Januar 1963