Kommen und Gehen – Bild 7

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Bühnenbild Rolf Christiansen

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Kommen und Gehen – Siebentes Bild

Zerschossene Fenster

ER (sitzt mit dreckiger Uniform mit Kopfhörer, unrasiert und müde vor seinem Funkapparat.)

Tja, Hitler ist tot. Der Krieg ist bald aus. Das weiß man, dazu braucht man kein großer Prophet zu sein. Hitler tot… komisch, wie kalt mich das lässt. Man hat so lange darauf gewartet, nun ist es so weit. Wie weit ist es eigentlich? Vorsicht! Hüten wir uns. Es ist nämlich noch sehr die Frage, ob sein Tod die ersehnte Lösung bringt. An ihm alleine hing es ja nicht mehr, er hatte ja seinen Dämon schon in die Welt und in die Menschen gepflanzt. Das ist eine Verschwörung. Kriegsende… Und man sitzt so sinnlos und eigentlich tatenlos herum, so müde… Tja, Hitler, und anstatt befreit aufzuatmen, würgte es mir heute früh in der Kehle, als wir Gustl Lang begruben. Er war ganz jung, hatte schöne Hände und lebensgierige Augen und wäre wohl ein Dichter geworden, wenn man ihn gelassen hätte, aber… tot – vorbei. Tot wie unser General, von dem man nur noch einen Orden fand, nachdem er versehentlich auf eine Mine trat. Auch vorbei…

Man denkt wieder so intensiv nach über Leben und Tod in den wenigen Augenblicken, die einem in dieser unbeschreiblich hastigen Zeit gelassen werden. Die Schießerei kann gleich wieder losgehen. Dann heißt es, Deckung nehmen, allersicherste Deckung. Aber Sie brauchen keine Angst zu haben: der traurige und fragwürdige Ruhm zu den letzten Toten in diesem Krieg zu gehören, wird mir nicht zuteil. Ich werde Sie überhaupt gleich aufklären: ich bekomme gleich einen Kopfschuss, und Weihnachten 1945 komme ich nach Hause zurück. Das ist dann das nächste Bild. In einem Zwei-Personen-Stück in zehn Bildern kann doch nicht der Held im siebenten Bild sterben.

Held? Oh, wie weit sind wir in diesen letzten Kriegstagen von einem Helden entfernt! Angst, grauenhafte Angst, wie in den ersten Fronttagen vor vielen Jahren, habe ich. Angst vor dem Sterben, Angst vor dem – Töten, dem Morden anderer Menschen, haben wir alle. Man hätte sich wohl daran gewöhnt, aber jetzt, wo wir alle hoffen können, lebendig zu bleiben:- oh, man sucht sichere Deckung und der Finger zögert, bevor er abdrückt…

Herrliche Maitage waren das, damals. Erinnern Sie sich? Irgendwie standen wir alle müde an irgendeinem Fenster irgendwo in Europa und blinzelten verwundert in die unvergängliche Frühlingssonne in den letzten Leidenstagen. Sind sie die letzten? Ob die, die den Krieg gewollt haben, nicht uns auch noch besiegen werden? Es steht so viel bevor.

Mit Eva würde es sich viel leichter grübeln. Mit ihr werde ich auch nicht so leicht melancholisch. (Zieht einen Brief hervor.) Ein Wunder, dass mich dieser Brief überhaupt noch erreicht hat. Ich bin nämlich vor einer Woche noch degradiert worden; hatte ein Geheimschreiben verlegt. Aber ich empfand es fast wie eine Beförderung – zurück in den Menschen. Nun sagen die, die ich liebe, wieder „du“ zu mir. Früher – als ich noch Offizier war, – da sagte auch ich manchmal: was brauchen wir hier (im Kopf), wenn wir hier (auf der Schulter) was haben. Und jetzt? Nur im Kopf und im Herzen brauchen wir was. Schulterstücke wiegen so federleicht. Und letzten Endes: Offiziere sind genauso arme Teufel wie wir… Menschen.

Ja, Eva hat also geantwortet. Ich schrieb ihr, ich hätte kein Herz und könnte deshalb auch nicht mit dem Herzen nachdenken. Und nun antwortet sie (liest:) „Natürlich hast du ein Herz. Wenn es sich im Moment nicht zum Nachdenken herbeilässt, dann denk halt solange mit meinem nach.“ Und darüber sind mir altem Krieger fast die Tränen gekommen. Finden Sie nicht: Sie hat eine so wunderbare Art, unsere Beziehungen über alle Entfernung hinweg so nah und deutlich und unlösbar zu machen.

(Nach hinten, nimmt einen Befehl entgegen:) Bereit halten! Jawohl! (Plötzlich erregt:) Ein Ende! Keine Angriffe mehr! Nicht mehr bereithalten zum Morden, nicht mehr so erbärmlich kämpfen müssen. Ich mag nicht mehr. Ich kann nicht mehr! Es bedrängt so… Ich habe oft das Gefühl, als sei ich selbst die ganze Menschheit. Alles lastet auf mir, alles schaut auf mich, und gequält winde ich mich durch dieses Geschehen, komme kaum zu Atem… Und brauche doch so viel Atem. Will doch der Welt den Hauch des neuen Menschen einblasen. Die Welt wartet auf mich, auf uns alle. Damit Zeit und Erde wieder lebendig werden, und das Blut solange in den Adern fließt, als es einem gütigen Gott gefällt.

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Bild 8

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Zu Kommen und Gehen

Claudia zur hiesigen Veröffentlichung

Presseschau und Zuschauerbriefe von damals

Autobiografischer Monolog von 1947 – Das Stück “Kommen und Gehen” berichtet

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