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Drei Kilo Zucker
von
Peter Podehl
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Silvia war vierzehn Jahre alt, Pierangelo achtzehn, und sie liebten einander heiß und innig, sehr heiß, nicht ganz heiß, was angesichts des zarten Alters der Braut verständlich war. Ihr Vater war ganz und gar dagegen. Und er war ein Kraftmensch mit beachtlichen Muskelpaketen auf den Oberarmen und einem von schwarzen Haarbüscheln wildbewachsenen Brustkasten, Er sagte:
„Wage es, auch nur mit dem kleinen Zeh deines linken Fußes vor das Haus zu treten, – ich schlage dich grün und blau!“
Das kam angesichts seiner Stärke einer Todesdrohung gleich. Dazu fletschte er die Zähne.
Das war ihm geblieben von seiner Zeit beim Circus, wo er als ‚Kraftmensch’ auftrat und unter Zähnefletschen Eisenstangen bog und verwinkelte.
Silvia achtete des Vaters Drohung, aber sie hatte eine zuverlässige Hilfe in ihrer Mutter, die die Abwesenheit des Vaters nutzte und Silvia zum Kauf von drei Kilo Zucker zum Einkochen schickte. Silvia konnte ganz schnell Pierangelo verständigen und der kam sofort mit seinem Moped zum Zuckerladen. Sie tauschten Blicke, Küsse und Umarmungen. Nicht mehr, was angesichts des zarten Alters der Braut von vierzehn Jahren und des Verbots exzessiver Zurschaustellungen von Sexualität in der Öffentlichkeit verständlich war.
Dann kaufte Silvia ein Kilo Zucker und sagte zu ihrem Liebsten: „Warte hier. Ich komme gleich wieder.“
Sie brachte das Kilo Zucker ihrer Mutter, die meinte: „Kind, wo hast du denn bloß deinen Kopf? Aber ich weiß schon, wo. Ich brauche drei Kilo. Geh und kaufe gleich den Rest. Mit dem einen Kilo komme ich nicht weiter.“
Silvia ging freudig, traf ihren Liebsten vor dem Zuckerladen. Sie tauschten Blicke, Küsse, Umarmungen. Mehr nicht, was angesichts des zarten Alters der Braut von vierzehn Jahren und des Verbots exzessiver Zurschaustellungen von Sexualität in der Öffentlichkeit verständlich war.
Silvia kaufte ein weiteres Kilo Zucker. Sie sagte zu ihrem Liebsten: „Warte hier. Ich komme gleich wieder.“
Aber die Mutter wusste von des Vaters Nachhausekommen und meinte, sie werde mit den zwei Kilo Zucker erstmal auskommen. Es half nichts: Silvia war ans Haus gefesselt, so sehr sie die Mutter auch bat, das dritte Kilo sofort holen zu dürfen, und Pierangelo stand vor dem Zuckerladen und verstand die Welt nicht mehr.
Schließlich fuhr er mit seinem Moped zum Haus der Braut und dem Vater direkt vor die Füße. Der hob ihn samt Moped hoch in die Luft und warf ihn in den Straßengraben. Der Sturz verlief außerordentlich glimpflich; Pierangelo hatte lediglich zwei Hautabschürfungen am rechten Schienenbein.
Aber ein Polizist hatte den Vorfall beobachtet und stellte Silvias Vater zur Rede:
„Für Ihre soeben getätigte Gewalttätigkeit verordne ich Ihnen ein Bußgeld von 120 Euro, zahlbar sofort.“
Silvias Vater fletschte die Zähne und protestierte: „Was? Wie denn? Wieso?“
„125 Euro, zahlbar sofort.“
„Waaaas? Und wenn ich gar nicht bezahle?“
Der Polizist spielte mit den Handschellen an seinem Gürtel: „130 Euro, zahlbar sofort.“
Silvias Vater hatte wohl schlechte Erfahrungen mit Handschellen gemacht und zahlte, Zähne fletschend. Dann schlich er ins Haus und gleich ins Schlafzimmer und zog sich die Decke über den Kopf, unter seiner Niederlage leidend, der Kraftmensch.
Die Mutter hatte alles durch die zwei Löcher in der Küchengardine beobachtet und schickte sofort Silvia los, das dritte Kilo Zucker zu holen.
Silvia rannte raus. Draußen stand ihr Liebster bei einem Polizisten. Sie tauschten Blicke, Küsse, Umarmungen: mehr nicht, was angesichts des zarten Alters der Braut von vierzehn Jahren und des Verbots exzessiver Zurschaustellungen von Sexualität in der Öffentlichkeit verständlich war.
Der Polizist war ein korrupter Menschenfreund: er lieferte nicht immer alles Geld, was er eingenommen hatte, bei seiner vorgesetzten Dienststelle ab. Er gab Pierangelo 120 Euro: „Hier. Für den Kinderwagen.“
Die beiden lachten: „Das hat Zeit.“
„Bringt ein paar Zinsen.“
Pierangelo bedankte sich und steckte das Geld ein.
Gott Amor hielt für die Liebenden noch einen kleinen Bonus bereit:
Pierangelo setzte sich aufs Moped und startete. Silvia klemmte sich hinter seinen breiten Rücken. Und als das Moped anfuhr, musste sie sich an jemandem festhalten.
Amor sei Dank.
© Peter Podehl