Persönliches von Peter Podehl – 1980

DAMALS, DAMALS, DAMALS…

Persönliches von Peter Podehl

Die Wiederholung der Serie DIE HÖHLENKINDER erinnert mich, den Autor und Regisseur, aber auch den Vater und Zeitgenossen an so viele Vergangenheiten. Immer wieder taucht ein neues Detail auf.

Damals, im Sommer 1961, drehten wir DIE HÖHLENKINDER, in der Eng, jenem wunderschönen Tal im österreichischen Tirol, das man nur von Deutschland aus erreicht, es sei denn, man wandert als zünftiger Bergsteiger vom Achensee oder vom Inntal herüber. Mit dem Auto kommt man über Bad Tölz, Neufall, Vorder- und Hinterriß zum talabschließenden Ahornboden. Dort, vielleicht dreihundert Meter über und östlich vom Boden, lag die Höhle, die keine Höhle war; ein langgezogener Felsspalt in einem große Kalksteinblock diente als “Höhleneingang”. Die “Höhle innen” war ein Filmbau im Schonger-Atelier in Inning am Ammersee. Wer heute dort oberhalb vom Ahornboden ein wenig herumwandert, findet vielleicht noch ein Stückchen Rohfilm, schwarz-weiß, 35 mm, einen Rest Zelluloid von damals. So erging es mir, als ich dort irgendwann Anfang der 70er Jahre mit Tochterfamilie raufkraxelte. 

Ein zweites Damals ist diese Tochter, die in dieser Serie die zwölfjährige Eva spielte. Das ehemalige Höhlenkind ist inzwischen in Rom mit einem Sarden verheiratet, hat selbst zwei Töchter und unterrichtet italienische Berufsschüler in Englisch und Sozialkunde. Das ist, 19 Jahre später ja eigentlich gar nicht verwunderlich, – den Vater wundert es dennoch.

Eines Sommertages vor vielleicht 5 Jahren drehten wir für LEMMI UND DIE SCHMÖKER an der U-Bahn-Rolltreppe am Ende der Schildergasse in Köln. Plötzlich sagte jemand: “Guten Tag, Herr Podehl!” Ich schaute auf und erkannte den jungen Mann mit Vollbart nicht. “Ich bin Götz Burger.” Das zweite Höhlenkind, bei dem ich einen Sommer lang fast den Vater vertreten hatte. Nun war er Dramaturg und Regieassistent an den Städtischen Bühnen in Köln. Aber das ist ja nun auch schon zum Damals geworden. Inzwischen wohnt er im Hohlsteinischen und mach Theater in Kiel, Lüneburg, Karlsruhe. 

Der Zeitgenosse erinnert sich noch an etwas anderes: wir waren eine hauptsächlich bayrische Aufnahmetruppe und sagten immer wieder angesichts der Naturschönheiten und der gerne hingenommenen Strapazen, die mit dem Drehen in unwegsamem Gelände verbunden waren: “A scheens Buildl, a xunda Fuim” (Ein schönes Bild, ein gesunder Film).

Unvergessen, wie mitten in all die Schönheiten und die Strapazen die Nachricht vom Mauerbau im fernen, fernen Berlin platzte. Sechs Jahre vorher – ein weiteres Damals: 1955 – hatten wir noch sehr nahe an dieser nun wachsenden und sich verfestigenden Mauer auf der östlichen Seite in Potsdam-Babelsberg gewohnt. Dementsprechend erschreckend nahe rückte uns dieses Berlin, als wir vom Mauerbau hörten und lasen.

Für den Zeitgenossen und Regisseur gibt es ein drittes Damals: den Zweiten Weltkrieg, den es vor die Kamera zu holen galt. Es waren keine aufwändigen Schlachten zu inszenieren – die Gelder der Fernsehanstalten flossen damals nur recht sparsam in solche Kinderfilmproduktionen und hätten großen Aufwand gar nicht erlaubt -, aber immerhin: Uniformen, Hakenkreuze, Waffen, Volkswagen mussten vorkommen und echt sein. Ich glaube, man kann den heutigen Golf- oder Passat-Fahrer ruhig gelegentlich daran erinnern, dass das Volk überhaupt erst lange nach dem Krieg zu diesen Wagen kam. Nach einigen Schau-Stücken vom Käfer-Prototyp produzierte Wolfsburg ausschließlich Militärfahrzeuge, die in ganz Europa deutsche Soldaten zu ihrem schrecklichen Handwerk transportierten.

Mich auch, ja, ich stamme aus dem berüchtigten Jahrgang 1922, den der Krieg so radikal dezimiert hat, und bin manchmal in so einem VW-Kübel gefahren. Dank meiner sieben Schutzengel habe ich selbst die Mordzeit glimpflich überstanden. Aber ringsum war das Grauen doch sichtbar genug. Ich habe gesehen, wie der Blitz in einen Munitionstransport einschlug, habe gehört, wie Hitlers feiger Selbstmord im Radio mit Wagner-Musik zum Heldentod verfälscht wurde. 

Erlebnisse dieser Art waren es auch, die uns damalige Filmemacher dazu veranlassten, die Handlung, die im Buch DIE HÖHLENKINDER von A. Th. Sonnleitner im 17. Jahrhundert spielt, in unsere Zeit zu transportieren; auch wenn uns das Buch weiterhin als Vorlage für die Verfilmung diente. Der Zeitgenosse Autor konnte 1960 angesichts der vielen Kinderschicksale, Kleine und Kleinste, die ihre Eltern durch die Kriegswirren verloren hatten, nicht anders als von 1944/45 erzählen. 

Ein letztes Damals sehr persönlich-beruflicher Natur betrifft den Regisseur von 1961 und den von heute. Da gibt es Selbstkritik nicht nur in einer Richtung. Natürlich würde ich nach fast zwanzig Jahren voller weiterer Berufserfahrung Einiges an diesen Filmen gerne ändern: manches scheint mir zu märchenhaft, manches etwas zu breit, ich leide unter dem antiquierten Synchronton. Aber eine zwanzig Jahre alte Filmserie ist ein Dokument geworden, als solche kann sie natürlich nur unverändert gesendet werden. Auf der anderen Seite lässt sich vielleicht aus ihr lernen: habe ich diese direkte, gradlinige, naive Erzählweise nicht inzwischen manchmal recht weit links liegen gelassen? Zugunsten von Schnörkeln und Tricks und Zuschauerfängereien? Ich will die Frage nicht rundheraus selbstzerknirscht bejahen. Aber ich will sie mir gefallen lassen und bei weiterer Arbeit in Zukunft gelegentlich wieder stellen.

Köln, 18.5.1980

P.P.©