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Da lachten Philemon und Baucis
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zurück zu Charlotte
Peter und Charlotte hatten viele mehr oder weniger ausgearbeitete Pläne, wenige kamen zur Durchführung. Wie bei allen kreativen Menschen.
Immer hatten sie vor, in Schulen Märchen zu erzählen – so als Großeltern – und es gibt auch viele Ansätze hierzu; im Archiv gibt es ganze Märchensammlungen aus aller Herrgotts Ländern, in mir bisher noch unverständlicher Ordnung.
Ein weiteres Projekt war, die anfallenden Alterserscheinungen in einen eher komischen Rahmen zu fassen. Und daraus ein Theaterstück zu machen, mit dem Titel
Da lachten Philemon und Baucis
Philemon und Baucis sind Figuren aus der griechischen Mythologie, ein altes Ehepaar, das die Götter bittet, gleichzeitig sterben zu dürfen.
Hierzu hat er Material nach dem altbewährten Schema der “Unfrisierten Gedanken” gesammelt, über die Jahre, manche auch ganz schön heftig, nichts beschönigend. Einiges ist kaum verständlich, vieles nur denjenigen, die Peter und Charlotte und das gesamte Interieur der Aretinstraße kannten.
Aber es gibt auch eine Menge Gedanken, Dialoge, die ihr bis zuletzt sehr lebendiges Leben charakterisieren.
Die habe ich hier zusammengestellt.
Viel Spaß beim Lesen!
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Eine Komödie über die Unmöglichkeit,
diese Komödie zu schreiben
- Das Stück kann eigentlich nur anfangen mit:
“Das Schlimme ist – jetzt weiß ich nicht mehr, was das Schlimme ist.”
“Schade, ich hätte so gerne gewusst, das was Schlimme ist.”
“Mein Kurzzeitgedächtnis – das ist das wirklich Schlimme.” - Es bleibt auch im hohen Alter der Kampf der Geschlechter.
- “Du tust nicht, was ich dir sage!”
“Warum muss ich tun, was du sagst?” - Aufhören, Frauen auf ihre Widersprüche hinzuweisen. Sie empfinden gar keine.
- “Ich bin eine sehr billige Frau.”
“Das stimmt.”
“Das muss anders werden.” - “Falls dein hochverehrter Schließmuskel es erlaubt, solltest du die Klotür zumachen.”
- Das Knallgeräusch, wenn sie den Klodeckel fallen lässt.
- Er ruft den Steuerberater an, sie wähnt, es sei der Zahnarzt und ruft dazwischen: “Sag ihm, dass dir eine Krone aus dem Gebiss gefallen ist!
- Gemeinsame Vergangenheit haben.
- Sie ruft von oben: “Ich sterbe.” Er sagt: “Ich komme.” Und geht rauf.
- Das Scheitern der Pläne
- Sich bekleckern, mit allen Folgen
- Des Anderen Sachen wegschmeißen
- Sachen kaufen, nur weil sie billig sind. Das ist Konsumfetischismus pur!
- Sich in den Finger schneiden
- Ein Bild aufhängen
- “Manchmal denke ich, da” – sie zeigt ins Hausinnere – “ist das Leben. Hier muss ich durch. Draußen ist der Tod.” –
Sie hat die Tür geöffnet: “Ha!”
“Du willst doch nicht behaupten, er steht vor der Tür?”
“Nein, der erste Mohn ist aufgeblüht!” - Wir singen gar nicht mehr.
- “Früher hätte ich das genauer klären können, aber neuerdings trudelt mein Kurzzeitgedächtnis so durcheinander.”
“Früher, mit dem intakten Kurzzeitgedächtnis, kannte ich dich gar nicht!” - Ich sehe/höre eine Szene, in der sie beschließt, Brille und Hörgerät an einen bestimmten Platz in der Diele zu legen, damit sie sie beim Weggehen nicht vergisst.
Am Ende der Szene gehen sie weg.
Zuschließ – Aufschließ: Er holt die Brille.
Zuschließ – Aufschließ: Er holt das Hörgerät. Zuschließ.
Ende der Szene - Nur ja nie die Sehnsucht sterben lassen.
- Die Sehnsucht wenn stürbe nach ihrem Träger – wär allweil gut.
- “Baucis, bist du oben?”
“Nein. “
“Kommst du dann mal runter?”
“Ja!” - Sie stopft alte Textilien in eine Plastiktüte.
“Lass mal was übrig!”
“?”
“Wenn der Mensch alles erledigt hat, dann stirbt er.”
“Da ist was dran.” – Mit lässiger Gebärde verstreut sie den Tüteninhalt. - Schopenhauer: “Wir wissen, was wir durch den Tod verlieren, aber nicht, was wir gewinnen.” (vielleicht nicht Wortlaut.)
- “Lächeln ist eine sehr komplizierte Sache.”
“Das kann man wohl sagen!”, maulte der kleine Engel - Was ist mit der Tatsache, dass auf vielen Totenmasken ein Lächeln zu erkennen ist?
- Worauf läufts hinaus? Über den bevorstehenden Tod lächeln / lachen!
- Immerzu lässt der Tod grüßen.
- Vielleicht kann man hinterher über den Tod lachen, aber vorher?
- In meinem Alter räumt man die Seele nicht mehr auf. Ich kann nur darauf achten, dass die Unordnung schön bleibt.
- Dies ist eine Komödie über die Unmöglichkeit, die Komödie zu schreiben.
- Eigentlich sollen ja die Zuschauer lachen.
- Im Titel steht: Wir können lachen über uns selbst. Das dürfen wir nie verlernen. Auch und vor allem nicht im Angesicht des Todes.
- Heimkommen von der Bahn, die Familie weggebracht haben.
“… keine Familie, das ist ein Heuschreckenschwarm!”
“Also, das sage ich dir mal: die Afrikaner wären froh, wenn ihre Heuschreckenschwärme so liebe Menschen wären.!”
“Sie haben viel weniger gegessen, als wir hingestellt haben.”
An den folgenden Tagen immer wieder etwas finden, was sie dagelassen haben.
Desgleichen Hauseigenes nicht finden, weil sie es vom gewohnten Platz gezerrt haben.
“Wo finde ich die neue Lupe?”
“Auf dem Klo”
“Es ist ja nichts Geringes, wenn die eigene Unsterblichkeit zu Besuch kommt/da war!” - Die Heuschrecken beerben uns ja mal.
- Alles, was wir derzeit durchleiden, gehört in dieses Stück oder nirgendwohin: Vergeblichkeit, Isolation, das Scheitern der Pläne und Absichten, Hoffnungslosigkeit, Schmerz, Abbau, Hilflosigkeit …
- Sag Ja zum Chaos! Es bleibt dir gar nichts anderes übrig.
- Je älter man wird, desto mehr wird die Vergangenheit zum Museum.
- Auch: Die Isolation im Alter
- Dass das Alter weise mache, scheint mir ein Gerücht.
… wird langsam Zeit, das als Gerücht zu erkennen. - Alzheimer ist eine saukomische Angelegenheit!
- Ich schwebe quer zwischen den Welten.
- Chaostalent
- Adelbert Dembek hat vor dem Sterben mit dem Tod gesprochen. Nach seiner Aussage ein gutes Gespräch. Als Angehörige Einzelheiten über den Gesprächsstoff wissen sollten, winkte er ab: “Das versteht ihr nicht.” (Oder so ähnlich). Irgendwo im Tagebuch notiert.
- Solange wir über uns selbst lachen, ist alles gut. Schlimm wird es, wenn die anderen über uns lachen und wir ernst bleiben / uns beleidigt fühlen
- “Merk dir das doch endlich mal!”
“Ja, fürs nächste Leben.” - Am Ende nicht wissen, ob man dem Anderen das Leben gerettet oder zerstört hat.
- Quatscholator
- “Hör auf, dich zu verteidigen!”
“Hör auf, mich anzuklagen!”
“Nein.”
Da steckt eine sehr beachtenswerte Härte drin.
“Ich mach die Tür auf und lass den Dämon raus.”
“Lass gleich den Engel rein.”
“Ist das nicht zu viel auf einmal (verlangt)?” - Wer nicht lachen kann, kann keinen Frieden schließen.
*
Der Streit
Nacht. Philemon, von oben, aus dem Schlafzimmer, prononciert und verärgert provokativ:
“Du hast die hohen Zwischentöne nicht – Das ist es !”

Zu hören, nach kurzer Pause: die Schlafzimmertür, die offenbar halb aufstand, wird ganz aufgepoltert. Licht im Treppenhaus geht an. Die Tür oben wird zugeschlagen.
Baucis kommt im Nachthemd die Treppe runter, ihr Bettzeug im Arm, das ihr den Blick versperrt, weshalb sie stolpert. Sie schimpft heftig:
Zu hören nach einer Weile: die Tür oben geht auf.
Philemon kommt mit seinem Bettzeug die Treppe runter, geht in die Wohnung, aus der sich Baucis vernehmen lässt:
“Was willst du hier? Lass mich in Ruhe!…”
Zu hören, nach einer Weile: Big Ben schlägt 4 Uhr.
Baucis kommt nach einer Weile aus der Wohnung, macht das Licht an. Geht die Treppe rauf, freundlich plaudernd, sich zweimal umwendend:
“Ja, das machen wir! Gleich morgen fahren wir – äh: heute. Hast du die Landkarte noch?”
Philemon folgt mit seinem Bettzeug:
“Ja. Oder sagen wir mal: ich glaube ziemlich genau zu wissen, wo sie steckt.”
“Also, wenn du dich schon so gewunden ausdrückst. Du bist ein alter Schlamper.”

Ende der 50er Jahre
Wer genau hinschaut, kann auch mich entdecken
Sie hat ein Kissen verloren.
“Oh, mein Kissen!”
Philemon hebt es auf.
“Ich brings dir mit.”
Baucis von oben:
“Jetzt schlafen wir erst mal noch.
Wie spät ist es?”
Philemon verschwindet auch:
“Vier vorbei.”
Das Licht geht aus.
*
Peters Dramaturgieüberlegungen
Wenn das eine betuliche Alterskomödie wird, ist das Scheiße. Keine Idylle
Da müssen auch sehr harte Ecken und Kanten rein. Das Böse, auch das im Zuschauer Entsetzen Auslösende.
!! Nur dann wird der Titel gerechtfertigt.
*
Und zuletzt
Es taucht ein existenzielles Problem von äußerster Tragweite auf: Philemon und Baucis erbitten als große Gunst von den Göttern, dass sie gemeinsam, zum gleichen Zeitpunkt sterben mögen, “damit weder ich das Grab meiner Gattin sehen noch sie mich unter den Hügel bringen muss.” Charlotte hegt ähnliche Wünsche. Sie will zwar keinesfalls nach mir sterben, also keinesfalls meinen Tod erleben (erleben), aber es ist ihr ein guter Gedanke, wenn ich bald nachkomme.
Ich habe in meiner Imagination einige sehr unterschiedliche Szenen über meinen Tod.
Zunächst: Es wäre schon eine Gnade, bedenkt man unsere beiden so sehr voneinander abweichenden Naturelle, wenn ich nach ihr ginge, der letzte Dienst, den ich ihr zu erweisen habe. Sodann gibt es da ein erstes Szenario, das mich ohne sie als kontinuierliche Stützwand so taumeln, stolpern und schließlich stürzen sieht, dass es bald ein Ende mit mir hat, diese Hälfte ist möglicherweise nur noch absehbar lebensfähig.
Ein zweites Szenario erlaubt mir, etliche Jahre des Schreibens in guter, phasenweise vielleicht auch schrecklicher Einsamkeit mit Lettern und Worten, die Summe des opus aufzubessern und Liegendes aufzurichten, Form zu finden in Aussagen all der Liebe, die mich bewegt. (Es ist wohl eine ordentliche Portion Wunschtraum dabei, auch Poeten-Romantik.)
Szenario Drei birgt einiges Entsetzen: Ich könnte schwer krank und pflegebedürftig werden, aber nicht zum Tode, sondern in langem Siechtum; dem weichen meine Imaginationen verständlicherweise aus.
Auch Szenario Vier ist vage und will nicht recht zu Papier: Der Witwer gerät an ein böses Weib. Warum eigentlich nicht an ein gutes? Er gerät spät in die Öffentlichkeit, er macht noch Theater…
Philemon, du warst nicht sehr männlich! Alleinsein ist männliches Bedürfnis, der Frau kaum verständlich zu machen. Hier prellt die Natur des Weibes gegen die des Mannes.
Es gibt auch noch ein ganz anderes Szenario: Charlotte wird, wie ich es mal im Averstal visionärisch sah, 101 Jahre alt, und in diesen 21 Jahren schaffe ich sehr viel Literatur; dann wäre ich mit 91 Jahren ganz befriedet.
Freilich: die Wirklichkeit des Schicksals hat noch ganz andere Szenarien auf der Pfanne, von denen ich mir dato nichts träumen lasse.
© Peter Podehl
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Claudias Kommentar:
“…, der letzte Dienst, den ich ihr zu erweisen habe.” Sie in den Tod begleiten.
Er tat es.
Charlotte starb am 30. Dezember 1999, wenige Stunden vor der Jahrtausendwende, an einem Herzinfarkt. Sie hatte Schmerzen, ging die Treppe rauf, legte sich ins Bett. Peter kam wenig später nach, da war sie weg.
Alzheimer, von dem hier die Rede ist, plagte sie ziemlich heftig; d.h. eigentlich gar nicht sie, sondern vielmehr uns, denn wir bekamen da so einiges ab. In diesem etwas ungehemmten Zustand konnte sie endlich die “Hornissen in ihrem Charakter aus Samt und Seide” – wie sie einmal von sich sagte – freilassen.
Einen Theaterabend, wie den, den Peter hier anvisierte, hätte sie in den letzten Lebensjahren wohl nicht mehr auf die Bühne legen können.
Das bremste zuletzt auch Peters Begeisterung für eine weitere Ausarbeitung des Stücks.
Er starb fast 11 Jahre nach Charlotte, hier bei uns in Mandela.
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Am Ende eines übervollen Lebens – noch viel mehr lebhafte Sprüche von Charlotte