König gefangen – Erster Akt

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König gefangen

Komödie
von
Peter Podehl
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Die Personen der Handlung:

ENZIO, König von Sardinien
LUCIA DA VIADAGOLA, seine 1.* Geliebte
FRANCESCA DI GUIDA DEI LAMBERTINI, seine 2.* Geliebte
KATERINA DA GALUZZI, seine 11.* Geliebte
BIANCA DA GALUZZI, seine 24.* Geliebte
SERVINELLA, Bedienerin und Kupplerin
LAMBERTO DI GUIDA DEI LAMBERTINI, Oberwächter
MICHELE DEGLI ORSI, Wächter
PIETRO ARSENELLI, Wächter
ALBINGO DI EBUBO, Wächter
EIN BAUMEISTER
EIN BAUMEISTERGEHILFE
EIN SOLDAT
EIN FASSTRÄGER
EIN BÜHNENARBEITER aus unseren Tagen

*Die Zahlen sind historisch nicht gesichert; Legenden munkeln, Enzio sei im Laufe seiner Gefangenschaft der Schattenvater von 24 vornehmen Bologneser Knaben und Mädchen geworden.

Der Ort und die Zeit der Handlung:
Die Stadt Bologna stand im Sommer 1249 vor der beispiellosen Aufgabe, die Kriegsgefangenschaft des Königs von Sardinien, Enzio, illegitimer Sohn des Stauferkaisers Friedrich II., zu organisieren. Das Ende der Vorbereitungsbemühungen ist der Anfang der Komödie. Sie wiederum endet nach dem ersten und einzigen Fluchtversuch des Gefangenen, im Weinfass eines Küfers, November 1268.

(Diesen Text sollte auch der Zuschauer im Programmheft lesen können.)

Die Szene – die Kostüme:
Seitdem Enzios Gefangenschaft Geschichte geworden ist, heißt das .Gebäude, in dem er einsaß, bis zum heutigen Tag Palazzo di Re Enzio. Es steht im Zentrum der Stadt an der Piazza Nettuno.

Ein Gefängnis im geläufigen Sinne ist das nicht. Ein Saal mit hohem Plafond, einem Fenster ohne Glas, dafür geölte Leinwand in Rahmen, die zu öffnen sind, und den Blick freigeben auf die vielen Türme des mittelalterlichen Bologna, rechts eine schwere doppelflügelige Tür in dicker Mauer mit einem von außen zu öffnenden Fensterchen. In der Nähe der Tür irgendeine Mauernische, die als Versteck dienen kann. Zunächst ist das ziemlich spärlich möbliert mit einigen Sitzgelegenheiten, einer Bank an der Hinterwand, davor ein Tisch. Zur Tür noch ein Wort: Ihr Schloss ist ein politisch brisantes Gefängnisschloss, dementsprechend lässt sie sehr akzentuierte Schließ- und Riegelgeräusche hören.

Ungewöhnlich ist eine links in diesen Saal deutlich improvisiert reingebaute hölzerne Schlafkammer mit veschließbarer kleiner Tür, ebenfalls mit einem nur vom Saal aus zu öffnenden Fensterchen. In der Kammer steht eine karge Liege mit Decke und einigen Kissen. Alles tun, damit diese Kammer als Raum im Raum erscheint, die Symmetrie des Saales unterbrechend, nicht als Nebenzimmer.

Diese Schlafkammer hat einen separaten Vorhang, einen Theatervorhang, der nichts mit der gothisch-mittelalterlichen Szenerie zu tun hat. Wenn er über die Schlafkammer fällt, oder wenn er hochgeht – er sollte nicht seitlich gezogen werden -, scheppert es immer: eiserne Quasten oder Ketten oder sonstwas, die auf den Bühnenboden poltern oder aneinander schlagen.

Die Kammer ist so gebaut, dass ein offensichtlich der Statik wegen erforderlicher Balken von etwa zehn Zentimeter Höhe in der Nähe der Kammertür über den Fußboden des Saales verläuft.

Zu den Kostümen – mehr noch als in dem Profanbau -: Gotik ist angesagt.

Alle Frauen, außer Servinella, die in den ersten beiden Akten schwarze oder graue grobe Stoffe trägt, sind mehr oder weniger prächtig gekleidet. Eng anliegend das Oberteil, weit und lang fallender Rock, von kostbarem Gürtel gehalten. Das Oberteil wird mit Bändern, die durch viele Schlaufen gezogen werden, seitlich auf den Körper geschnürt, nicht viel anders, als wenn Damen unseres Jahrhunderts mittels Reißverschlüssen in enge Kleider schlüpfen. (Eine Magd zum An- und Auskleiden war immer zur Stelle.) Knöpfe sind Zierrat, das Knopfloch ist noch nicht erfunden. Die Ärmel erlauben die Entfaltung von stoffverschwendendem Luxus: sehr weit und in vielen Bahnen wallend, die oft viel länger sind als der Arm. Diese Damen arbeiten nicht in der Küche und nicht am Waschtrog. Unter dem Kleid kunstvoll plissierte und verzierte Hemden oder Hemdchen. Über dem Kleid je nach Anlass der weite lange Mantel. Das Gebände ist der übliche Kopfputz, vornehmlich das Zeichen der verheirateten Frau, seltener tragen es Mädchen: Bänder, Binden um Kinn, Stirn und Wangen verdecken viel vom Gesicht und sind gewiss unbequem.

Die Männerkleidung ist bestimmt einerseits vom Typ Krieger und Ritter, also Reiter, andrerseits vom republikanischen Stadtadel. Also das mehr oder weniger kunstvoll verzierte Panzerhemd oder das meist knielange Kleid aus kostbaren Stoffen, dazu sind ebenfalls sehr aufwändige Ärmel möglich. Die Männer tragen Bein, die Hosen liegen eng an wie Strümpfe. Ihre Kleidung ist zuweilen vielfältig geschlitzt und mit andersartigen Stoffen oder Pelz unterfüttert. 

Die Handwerker tragen grau oder schwarz ohne jeden Zierrat, der Soldat einen Helm zum leichten Panzer.

Insgesamt: Das Mittelalter ist in den Szenerien und Kostümen dieser Komödie weder finster noch arm, noch im geringsten unkompliziert. Die Gotik brachte viel Licht in die Höhe des Zeitalters.

***

ERSTER AKT

Noch bevor der Vorhang aufgeht, setzt kräftiges Gehämmer ein. Der Schepper-Vorhang ist nach oben weggezogen, die Fensterflügel stehen auf.

Ein sehr junger BAUMEISTERGEHILFE nagelt den Balken, der über den Fußboden verläuft, fest. Der etwas feiste BAUMEISTER betrachtet rückwärts gehend sein Werk: die eingebaute Kammer. Die alte SERVINELLA, eine verschlagene, schlagfertige Frau aus dem Volk, kehrt mit einem Reisbesen Baudreck zusammen, dass es staubt.

DER BAUMEISTER stürzt über den Balken, den GEHILFEN mitreißend, Er schreit, steht dann mühselig auf:
Aua! Hols der Satan! Der Balken wird ein ewiger Stolperstein sein!

SERVINELLA, mit eher geheucheltem Mitleid:
Habt Ihr Euch wehgetan, Meister Bombardo?

DER BAUMEISTER, grimmig:
Nein, ein Engel hat mir den Hintern geküsst!

DER GEHILFE nagelt weiter.

DER BAUMEISTER.
Halt ein mit Nageln, Roberto. Wollen sehen, ob wir den Balken nicht entbehren können.

Das untersucht er, den Holzbau abwägend, daran rüttelnd, rechte Winkelmaße anlegend, ausmessend, auch eine Zeichnung kontrollierend.

Die beiden Flügel der großen Tür gehen mit Gepolter auf.

EIN SOLDAT kommt reichlich gestelzt martialisch mit gezogenem Schwert durch die Tür, als erwarte er Jemanden; es kommt aber Niemand. 

SERVINELLA, immer neugierig, fragt ihn:
Wisst Ihr nicht, wie er aussieht? Er soll schön sein – und blond…

DER SOLDAT nimmt keine Notiz von ihr, geht ab, die Tür schließend.

DER BAUMEISTER kommt kopfschüttelnd zu dem Schluss:
Der Balken muss bleiben, – es stürzt sonst die ganze Kammer ein.
Zum GEHILFEN:
Nagel ihn fest für alle Ewigkeit.

DER GEHILFE nagelt weiter.

DER SOLDAT probt nochmal seinen Auftritt.

Diesmal kommen die vier Bologneser Bürger herein, die Enzio bewachen sollen: LAMBERTINO DI GUIDA DEI LAMBERTINI als Oberwächter, ein schmallippiger, etwas verbiesterter Typ um die Mitte 40, mit einem Aktenbündel; MICHELE DEGLI ORSI, kantig, undurchsichtig, Enddreißiger; PIETRO ARSINELLI ist homosexuell, alle possenhaften Eigenschaften der Species stehen ihm nicht zur Verfügung, er ist eher scheu, lächelnsbereit, eine elegante Erscheinung, mit Enzio etwa gleichaltrig, um die 30; ALBINGO DI EBUBO, der jüngste, klein, behende, meist absichtsvoll lustig, manchmal aber auch unfreiwillig.

DER BAUMEISTER ist rausgegangen.

LAMBERTINO, zum Soldaten:
Ah!, wird man so den Gefangenen begrüßen, mit blanker Waffe, brav!

DER SOLDAT geht wieder raus, schließt die Tür.

LAMBERTINO ärgert sich über Servinella:
Servinella!, gleich ist er da!, und der Dreck liegt noch immer zuhauf!

SERVINELLA ist nie um eine Antwort verlegen:
Soll ich ihn fressen?! Ich hab nur zwei Hände!

LAMBERTINO, zu seiner Begleitung, die er sich zu einem Zeremoniell ordnet:
Messere, so stellen wir uns auf, nachdem ich den königlichen Gefangenen hereingeführt habe. Dann gehen wir rückwärts – dorthin –
Er weist zur Kammer:
Ich immer ein Schrittchen vor Euch, Ihr immer ein Schrittchen hinter mir.

DIE WÄCHTER gehen steif zeremoniell rückwärts und kommen

SERVINELLA beim Saubermachen in die Quere, die poltert:
He, Messeri!, soll ich Dreck wegputzen oder Eure Spielchen begaffen?

LAMBERTINI löst das Zeremoniell auf:
Mach erst sauber! Er ist ja gleich da!

SERVINELLA spielt komische Haltungen, Reisbesen einbezogen:
Wie soll ich dastehn, wenn der König reinkommt? So? Oder so? Oder so? 

MICHELE fertigt sie ab:
Du bist doch gar nicht dabei! Längst draußen!

LAMBERTINO begutachtet den Balken:
Das ist festgefügt. Das ist Sicherheit.

DER GEHILFE wird mit Nageln fertigt, räumt das Handwerkszeug zusammen.

PIETRO schaut aus dem Fenster, entzückt:
Diese herrliche Aussicht auf unser herrliches Bologna…

MICHELE schaut auch raus:
Viel zu schön für einen Kriegsgefangenen!

ALBINGO folgert albern:
Ich werde diese Schönheit mit dem Schwert durchbohren, herunterreißen, zertrampeln – Ähä
Dieses alberne „Ähä“ mit großem Tonsprung nach oben ist sein Kennzeichen. Jetzt ernüchtert er, denn

LAMBERTINO schaut ihn recht missbilligend an, nach kurzer Pause:
Ob es wirklich klug war, Euch, Messere di Ebubo, in dieses hohe Wächteramt zu wählen…? Was tut Ihr, wenn er aus dem Fenster springt?

ALBINGO, reichlich verwundert:
Tut er das?

LAMBERTINO berharrt:
W e n n  er es tut!?

ALBINGO spielt den blöden Helden:
Ich spring ihm nach und halte ihn unten fest, mit eisernem Griff – oder nein: Ich hefte ihn mit diesem Schwert ans Pflaster und –

LAMBERTINO unterbricht indigniert:
Auf dem Pflaster liegt ihr beide zerschmettert, und Servinella muss Eure blutverschmierten Knochen zusammensuchen!

ALBINGON schaudert’s:
Oh nein!, so will ich nicht sterben… Er wird nicht springen…

DER SOLDAT probt noch einmal seinen Auftritt, geht dann wieder ab.

SERVINELLA geht währenddessen in die Kammer:
O!, hier ist ja auch noch alles voll Dreck!
Sie schließt die Tür und haut sich auf die Liege.

LAMBERTINO ordnet nochmals das Zeremoniell:
Messere, ich immer ein Schrittchen vor Euch, ihr immer ein Schrittchen hinter mir. So gehen wir rückwärts, – dorthin.
Er zeigt zur Kammer.

DIE WÄCHTERSCHAR geht, zeremoniös, fast albern.

LAMBERTINO
Ich immer ein Schrittchen vor Euch, ihr immer ein Schrittchen hinter mir. Wir sind die Gefängnismauer, an der er sich wundstoßen soll, der Kaisersohn, –
Er spuckt aus.
der blonde Bastard, –
Er spuckt aus.
der Sohn einer deutschen Hure!
Er spuckt aus.
Langsam, stumm, Aug’ in Auge mit dem Feind, steinernen Gesichts, ich immer ein Schrittchen vor Euch, ihr immer –

Der Balken erweist sich als klassische Slapstick-Stolperquelle: Sie stürzen alle mit Schwung in die Kammer und schreien durcheinander.

SERVINELLA schreckt hoch, richtet sich auf, ist über dem Knäuel:
Holla!? Wer liegt mir denn da zu Füßen?

LAMBERTINO, sehr ärgerlich, weil auch gedemütigt:
Servinella!, lieg nicht rum auf des Königs Pritsche! Du sollst putzen!

SERVINELLA wischt LAMBERTINO mit einem dreckigen Lappen ungeniert ab:
Ohne Licht? Dreck, den ich nicht sehen kann, lass ich liegen!

LAMBERTINO wird ärgerlich:
Hör auf, Hexe!, was putzt du mich ab mit einem Lumpen, der dreckiger ist als mein Wams!?

ALBINGO, wieder draußen, stößt mit dem Fuß absichtlich an den Balken:
Der Balken hier hat uns gefällt.

LAMBERTINO kommt dazu:
Jawohl!
Zum GEHILFEN:
Junge, schlag sofort den Balken weg!

DER GEHILFE:
Aber ich soll doch –

LAMBERTINO schlägt ihn:
Du sollst gehorchen! Schlag das Holz weg!

DER GEHILFE:
Aber ich soll –

MICHELE schlägt ihn auch:
Für jedes Aber eine Maulschelle!

DER GEHILFE schlägt mit einem schweren Werkzeug gegen den Balken, dass die ganze Kammer wackelt.

DER SOLDAT probt nochmals seinen Auftritt, geht dann nach dem Eintreten des Baumeisters ab.

SERVINELLA schaut aus der Kammer, in der sie fegt:
He, Robertello, lass die Kammer stehn! Wo soll der deutsche Herr sein Haupt betten?!
Zu LAMBERTINO, vertraulich:
Er ist blond, sagt Ihr?

LAMBERTINO:
Blond, ja.

SERVINELLA:
Und spricht nur Deutsch?

LAMBERTINO:
Was redest du? Er ist König von Sardinien. Dort spricht man doch nicht Deutsch!

SERVINELLA:
Sardinien liegt gleich hinter Nirgendwo. Was weiß ich, welche Zunge sie da reden?!

LAMBERTINO, zum GEHILFEN, der aufgehört hatte:
Schlag zu, Junge, der Balken muss weg!

DER GEHILFE hämmert mit Wucht.

DER BAUMEISTER ist eingetreten:
Robertello, hast du den Balken festgen-
Er sieht die Bescherung, schlägt den Jungen, reißt ihm das Werkzeug aus der Hand:
Hat dir der Teufel in die Hände gespuckt?! Festnageln sollst du das! Nicht wegschlagen!
Er hämmert selbst:
Wenn man nicht alles selber macht!
Er erklärt den WÄCHTERN:
Der Balken stützt die Kammer. Ist hier festverfugt. 

LAMBERTINO heuchelt Fachkundigkeit:
Leicht zu verstehn, aber Euer Gehilfe –

MICHELE:
Der Junge ist ein Taugenichts!

ALBINGO heizt unnötig nach:
Ein Tunichtgut! Ähä!

LAMBERTINO beschwert sich nörgelnd:
Meister Bombardino, wieso bist du nicht fertig? Wenn der Gefangene jetzt zur Tür reinkommt, …
DER BAUMEISTER überreicht mit kleiner Feierlichkeit einen Schlüssel:
…könnt ihr ihn gradewegs in diese Kammer führen. Ich bin fertig.

SERVINELLA:
Messere Lambertino, der Platz ist sauber. 

LAMBERTINO:
Überzeugen wir uns also, ob das Gefängnis bereit ist, den kaiserlich-königlichen Ketzer -??
Er spuckt aus.
…für ewig zu bannen.

ALLE schauen herum. 

DER SOLDAT probt noch einmal seinen Auftritt, bleibt aber angesichts des folgenden Geschehens im Saal.

LAMBERTINO sammelt die Kissen auf der Liege bis auf eines ein und gibt die SERVINELLA:
Zu viele Kissen für den Gefangenen.

SERVINELLA nimmt sie etwas überrumpelt:
Aber ein Kissen ist doch zu wenig für ein königliches Haupt.

PIETRO denkt vorsichtig an erotische Möglichkeiten:
Ja, Messere die Lambertini, zwei Kissen sollten es schon sein.

LAMBERTINO:
Auch ein König hat nur einen Kopf. Nimm die Kissen weg!

SERVINELLA spielt den Rest der Szene mit den Kissen vor dem Leib.

EIN BÜHNENARBEITER, im modernen Overall, den Dialekt des Aufführungsortes sprechend (der in Berlin geborene Autor huldigt hier seinem Mutteridiom), kommt durch die vordere Bühnengasse links, also nicht durch eine Tür der Dekoration:
N’Abend die Herrn!

ALLE erschrecken und starren ihn an,

DER BÜHNENARBEITER schaut hinauf in den Schnürboden zu dem Schepper-Vorhang und ruft hinter die Szene:
Ede!

SERVINELLA bekreuzigt sich, so gut das geht mit den Kissen, und flüstert entsetzt:
Der Gottseibeiuns!…

MICHELE:
Ein Bote der Hölle!…

PIETRO kann sich nicht enthalten zu sagen: 
Aber ein süßer!…

LAMBERTINO, befehlshaberisch zum SOLDATEN:
Commandante; was zögert ihr, das Schwert zu führen?!

DER SOLDAT stürzt mit dem Schwert aggressiv auf den BÜHNENARBEITER los.

DER BÜHNENARBEITER wehrt sich gelassen mit einem Griff in die Styropur-Klinge:
Sachte, Junge, mit dem Theaterprüjel wirste mir nischt antun.

DER SOLDAT flieht mit Schreckenslauten zu den anderen, die sich angstvoll zusammengerottet haben.

DER BÜHNENARBEITER:
Wat kieken Sie denn so glubsch. Ick mache hier jenau detselbe wie Sie: Nachkieken, ob allet in Ordnung is.
Er ruft in die Gasse und schaut nach oben:
So, Ede, jetzt mal den Zuch fünefzehn runta!
Der Schepper-Vorhang geht mit einigem Gepolter runter. 

DER BÜHNENARBEITER, immer ‚Ede‘ anrufend:
Det mit dem Scheppan is richtig, det soll so sein.

Lärm unter dem Fenster: Pferdegetrappel, das endet, Schritte, wenige rhythmische Paukenschläge, kurze Fanfarenstöße, kurz aufflackerndes Volksgeschrei…

LAMBERTINO ist aufgeregt:
Er kommt!

ALLE stürzen zum Fenster.

Auch der BÜHNENARBEITER schaut aus dem Fenster:
Da kommta Tatsache.

MICHELE:
Auf einem weißen Zelter…

LAMBERTINO.
Viel zu prächtig – das Pferd!…

SERVINELLA, hingerissen:
Der König!… Und blond, ganz blond…!

PIETRO, kaum missverständlich verliebt:
Ein schöner Reiter – macht gute Figur…!

LAMBERTINO wird energisch:
Er geht zum Haus!, und wir gaffen, als käme nun nicht unsere große Stunde! Raus!, alle, die hier gearbeitet haben, raus!
Er versucht, auch mit Handgreiflichkeiten, alle rauszuschieben.

BAUMEISTER, GEHILFE, SERVINELLA tummeln sich.

DER BAUMEISTER stolpert dabei wieder über den Balken:
Ein verqueres Stück Holz, fürwahr…!

LAMBERTINO:
Ich muss ja runter, den Gefangenen zum ewigen Einschluss in diese Mauern zu übernehmen!
Er geht auch raus.

SERVINELLA hat es geschafft, sich samt Kissen in der Nische zu verstecken.

DER BÜHNENARBEITER hat sich erfolgreich gewehrt, auch durch die Bühnentür abgeschoben zu werden. Es ist schon erwartungsvoll still, als er zum Entsetzen der zeremoniös wartenden Messeri ruft:
Ede, den fünefzehn wieda ruff!

Der Schepper-Vorhang geht hoch.

DER BÜHNENARBEITER, halb zu ‚Ede‘, halb zum Publikum:
Det Ding kommt east späta dran, wenn er sich mit den Damen zum Drücken verknutscht, –
Er korrigiert sich lachend:
Ick meene: zum Knutschen vadrückt.
Und jetzt mit einem Augenzwinkern ins Publikum:
Herrschaften dürfen jespannt sein…!
Und ab durch die erste Gasse links.

Nach kleiner Pause fliegen die Türflügel mit Gepolter auf.

DER SOLDAT erscheint mit eingeübtem Ritual.

LAMBERTINO tritt feierlich ein, bleibt stehen, wendet sich um, steht, wie es geprobt wurde, vor den anderen drei Wächtern.

ENZIO betritt sein Gefängnis, das er bis zu seinem Tode nicht mehr verlassen wird, festlich gekleidet, eher hochrangig soldatisch als zivil, die Hände mit einer goldenen Kette eng und sehr hinderlich gefesselt. Ein blondgelockter Mann um die 30, adlig, mit der Aura des Königs von Geblüt, ein Feldherr, der sehr grausam sein konnte, und der im Laufe der Komödie Dichter, vielfacher Liebhaber und Großvater wird.

DER SOLDAT schließt die Tür von innen und stellt sich davor.

DIE WÄCHTER machen ihren Rückwärtsgang, den Balken aufmerksam meidend, stehen dann still.

Nach stummer Pause rennt ENZIO zum Fenster. 

ALBINGO, PIETRO, MICHELE und DER SOLDAT stürzen ihm nach, halten aber etwas Abstand.

ALBINGO, sehr aufgeregt:
Er will fliehen!

ENZIO, abfällig, dann still:
Fliehen, – das Pferd, ich wollte das Pferd noch einmal grüßen…
Das tut er aus dem Fenster mit anmutiger Geste:
Weiße Unschuld, du… gesattelt und gezäumt und ohne Reiter. Und ich? Ein Reiter ohne Pferd…
Plötzlich sehr heftig:
Aber nicht für lange!

LAMBERTINO ist nicht zum Fenster gerannt:
Hierher mit ihm!
Da keiner reagiert:
Fasst ihn an, traut Euch!, er ist nicht giftig und kein Engel, der aus dem Fenster fliegt! Hierher mit ihm, zur Zeremonie!

DER SOLDAT, ALBINGO und MICHELE greifen nach ENZIO.

ENZIO schüttelt sie scharf ab:
Ich weiß selber, was sich für einen Gefangenen geziemt.
Er geht zur Tür.

ALLE stellen sich wieder ins eingeübte Zeremoniell.

LAMBERTINO will endlich loslegen:
Enzio, König von Sardinien!, –

SERVINELLA stürzt aus ihrem Versteck ENZIO zu Füßen, immer noch die Kissen vor dem Leib, himmelt ihn an:
Was hat er für schöne Haare!…

LAMBERTINO schiebt sie unsanft raus:
Servinella!, altes Runkelweib, Hexe!, neugierig wie nur eine! Hier wird kein Volk geduldet! Raus!
Dann endlich:
Enzio, König von Sardinien, Bastard des gebannten Kaisers, Kriegsgefangener der Republik Bologna: Zum Amt der Wächter über Eure Haft hat das hohe consiglio generale vier edle Herren berufen: Messere Lambertino di Guida die Lambertini als euren Oberwächter, das bin ich, item Messere Michele degli Orsi, item Messere Pietro Arsinelli, item Messere Albingo di Ebubo. Uns seid Ihr überantwortet für eine lange Zukunft.
Er gibt dem SOLDATEN ein Zeichen.

DER SOLDAT geht raus, schließt die Tür von außen.

Dann markante Schließ- und Riegelgeräusche.

Nach wiederum einiger Pause, in der die ‚Feinde‘ einander stumm gegenüberstehen, überreicht LAMBERTINO das Aktenbündel MICHELE.
Lest, Messere degli Orsi, was das hohe consiglio in mancherlei Statuten festgelegt und besiegelt hat, und was dem König am Beginn seiner langen Gefangenschaft zu hören geziemt.

MICHELE liest:
Der Gefangene leidet hinfort nur einen Mangel: das ist seine Freiheit. Er soll keine Not leiden, daher kein Mangel an Essen, Kleidung, Schuhwerk, Dienerschaft und Geld; Ärzte und Notare zu seiner Verfügung. Die Tage verbringt der Gefangene unter ständiger Bewachung im Saal. Für die Nächte ist eine Kammer eigens in den Saal gebaut worden.

PIETRO zeigt sie und mag sich mancherlei erträumen:
Seht selbst, König von Sardinien.

ENZIO schaut sich das mit sehr mäßigem Interesse an.

ALBINGO kann sich einer Albernheit nicht enthalten:
Für die Liebschaft mit Morpheus allemal groß genug. Ähä!

MICHELE liest weiter:
Vor dem Untergang der Sonne ist der Gefangene dortselbst einzuschließen; geht die Sonne wieder auf, wird die Tür zur Kammer wieder geöffnet.

ENZIO stürzt sehr unglücklich rückwärts über den Balken, die Fesselung behindert ihn zusätzlich.

PIETRO will ihm spontan helfen.

LAMBERTINO hält ihn zurück:
Die Statuten enthalten keinen Passus, ob dem Gefangenen in solchem Fall zu helfen sei.

ENZIO schaut seine Bewacher an, die ihn ihrerseits ‚von oben herab‘ mustern. Er senkt den Kopf und tut einen schweren Seufzer: Absturz der Seele, sehr schmerzhaft.

LAMBERTINO, befriedigt:
Lest weiter, Messere degli Orsi.

MICHELE liest:
Gespräche mit dem Gefangenen sind nicht erlaubt. Welcher Mann dennoch den König zu sprechen wünscht, – so erwirkt er zuerst die Erlaubnis des consiglio credentie.

Die Tür fliegt auf.

LUCIA DA VIADAGOLA, eine schöne junge Frau, reich gekleidet, rauscht herein, stutzt kurz, als sie ENZIO am Boden sieht, läuft zu ihm und breitet ihren langen weiten Mantel um ihn, über ihn (eine im Mittelalter vielfach beschriebene Geste des symbolischen fürsorgenden Schutzes), wobei sie sich beugen, bücken, vielleicht knien muss. Sie nimmt seinen Kopf in ihre Hände und schaut ihm in die Augen.

DER SOLDAT ist nachgestürzt, weiß nun nicht, wie er eingreifen soll.

LAMBERTINO, sehr perplex:
Lucia da Viadagola!…
Zum SOLDATEN.
So werdet ihrer habhaft!

LUCIA weiß den SOLDATEN sehr souverän in Schach zu halten:
Meiner habhaft? Ich bin nicht zu haben.

LAMBERTINO weiß sich nur herrisch zu helfen:
So greift doch endlich zu, Commandante!

ALBINGO
Sie ist nicht giftig, ähä!.

DER SOLDAT will zugreifen.

PIETRO springt dazwischen:
Doch kein Krieg gegen Frauen, knieend dazu. Commandante, verlasst den Saal!

DER SOLDAT geht raus.

PIETRO, ironisch gegen LAMBERTINO:
Wir sind doch Manns genug, uns dieser Feindin zu erwehren.

LAMBERTINO, weiterhin herrisch, weil hilflos:
Jawohl, Manns genug, das will ich meinen!

LUCIA, sehr provokativ bissig:
Manns genug?, – Ihr, Messere Lambertino di Guida dei Lambertini? Macht Ihr Eurer Frau erst einmal ein Kind, damit Bologna erfahre, wieviel Manns Ihr seid!

Das trifft LAMBERTINO zutiefst, ihm bleibt die Luft weg, er greift an sein Herz, muss sich plumpsend setzen. Doch als sich PIETRO um ihn kümmern will, wird der schroff abgewiesen:
Ihr fasst mich nicht an!

LUCIA:
Ich will nur dies: …
Sie wendet sich ENZIO ganz zu. Mag sein, dass sie erst jetzt seinen Kopf nimmt, aber vielleicht war es schön, wie sie nach allen Seiten reagiert und parliert hat, dabei des Königs Kopf in Händen; vielleicht hat sie auch nur eine Hand an einer seiner Wangen behalten. Jedenfalls:
… mit dem König diesen Blick tauschen – und dies: …
Sie küsst ihn leidenschaftlich.

Der hingerissene, völlig verdatterte ENZIO mit seinen gefesselten Händen …

LAMBERTINO, noch schwer atmend:
Messere degli Orsi, so lest, welcher Mann den König …

Auch MICHELE weiß nicht, wie er das finden soll:
Signora, so hört das Statut: 
Er liest:
Welcher Mann den König zu sprechen wünscht, so erwirkt er zuerst die Erlaubnis des consiglio credentie.

LUCIA lacht:
Messere degli Orsi, bin ich ein Mann? Welche Frau den König zu küssen wünscht, so geht sie zu ihm und tut es.

ENZIO, wie gebannt, sucht Fassung, leise:
Herrgott, nimm dieses Lächeln von meinen Lippen – ich bin Soldat…!

LUCIA, ebenso leise, Bindung herstellend:
Herrgott, brenn ihm dies Lächeln ins tiefste Herz!…
Sie nestelt einen Spiegel aus Glas hervor und legt ihn auf den Balken:
Aus Glas – das neueste! Keine Frau in Bologna hatte einen solchen byzantinischen Spiegel – außer Lucia da Viadagola. Jetzt habt Ihr ihn. Wie wirst du dich verzehren vor Sehnsucht nach diesem Lächeln auf deinen Lippen.
Nach kleiner Pause:
Ich auch.
Sie rauscht ab, die Flügeltür offen lassend.

ALBINGO, nach einiger Verblüffung aller:
Lehr mich einer die Weiber kennen: Das Haus Viadagola ist doch papistisch bis ins Mark.

LAMBERTINO erholt sich langsam:
Die Statuten sind Menschenwerk und unvollkommen.

MICHELE:
Aber! Das hohe consiglio der Republik ist doch nie und nimmer unvollkommen!

LAMBERTINO:
Es hat versäumt, den Frauen jeden Zugang zum Gefangenen zu verbieten. Das muss nachgetragen werden.
Er ist zur geöffneten Tür gegangen und befiehlt dem SOLDATEN dahinter:
Verschließ die Tür. Du weißt, dass du nur auf unseren Befehl öffnen darfst.

DER SOLDAT schließt die Tür von außen.

Schließ- und Riegelgeräusche.

ENZIO ist aufgestanden und geht wieder zum Fenster.

LAMBERTINO, argwöhnisch:
Wohin der Gefangene?

ALBINGO:
Er will der schönen Stute nachwinken. Ähä!

ENZIO bleibt bei diesem Satz abrupt stehen, verletzt, ohnmächtig.

MICHELE schließt den Fensterrahmen:
Alles verboten, auch ohne Vorschriften.

ENZIO dreht sich in Stille und sonstiger Ratlosigkeit um, läuft mit Aggression zum immer noch sitzenden LAMBERTINO, hält ihm mit einer abrupten Bewegung die gefesselten Hände so dicht vors Gesicht, dass

LAMBERTINO heftig erschrickt:
He! Die Fesseln, – ja, es ist unseres Amtes, sie zu lösen.
Plötzlich springt er auf, geht auf Abstand, zückt seinen Dolch:
Des Teufels!…

ALBINGO, erschrocken, zückt auch den Dolch, sticht Luftlöcher:
Der Teufel? Wo?

MICHELE:
Was ist Euch, Messere dei Lambertini?

LAMBERTINO:
Er ist bewaffnet!

ENZIO schüttelt traurig den Kopf:
Ich bin ohne Waffen.

LAMBERTINO lässt sich nicht beirren:
Wenn wir die Fesseln lösen, wird er uns meucheln!

MICHELE zückt auch den Dolch:
Ha!

ENZIO wird herrisch ärgerlich, dann fast übergangslos verzweifelt, leidend:
Ich bin – ohne Waffen…

MICHELE.
Wieviel wiegt das Wort des königlichen Ketzers;

LAMBERTINO:
Messere Arsinelli, sucht ihn ab nach verborgenen Waffen.

PIETRO war sehr zurückhaltend, jetzt zwischen Schrecken und verborgener Lust:
Ich – ihn absuchen…?

ALBINGO hofft auf Spaß, anzüglich:
Ihr!, wer sonst? Bologna weiß, mit wieviel Lust ihr nach Männerwaffen sucht!…

PIETRO ist sehr irritiert, lächelt kurz, geht auf ENZIO zu, bleibt aber plötzlich stehen:
Nein…

ALBINGO:
Solltet Ihr wirklich nicht wissen, wie man sich Freunde macht? So!
Er betatscht ENZIO in der Taille.

ENZIO erweist sich als kitzlig, muss ganz wider Willen lachen.

ALBINGO ist sehr erstaunt:
Wie das?…
Er probiert es noch einmal

ENZIO will abwehren, muss aber lachen.

ALBINGO ist schrecklich fasziniert von seiner Erkenntnis:
Der Gefangene ist kitzlig! Messeri!, der König von Sardinien ist kitzlig!…
Er tänzelt zum Fenster, das er öffnet und schreit hinaus:
Ganz Bologna kund und zu wissen: Der König von Sardinien ist kitzlig!
Er macht das Fenster wieder zu.

LAMBERTINO hat zwar Spaß an der Demütigung des Gefangenen, aber:
Messere di Ebubo, Eure Erkenntnis in Ehren, aber wir müssen wissen, ob der kitzlige König versteckte Waffen trägt.

Er und MICHELE und ALBINGO nähern sich ENZIO, den Dolch in der Rechten, mit der Linken vorsichtig nach ihm greifend, seine Arme bewegend. Das macht ihnen Spaß, durcheinander redend:

LAMBERTINO:
Wir sind ja in Gefahr des Lebens!…

MICHELE:
Er bemächtigt sich der Schlüssel!…

ALBINGO:
Flieht – ins transalpine Germanien!…

ENZIO ist ein Häufchen Elend.

PIETRO sieht es mit wachsendem Grauen, laut:
Messeri, ich bin bereit, den Gefangenen nach Waffen abzusuchen, peinlichst genau.

DIE ANDEREN lassen ab von ENZIO.

PIETRO:
Dort in der Kammer.

LAMBERTINO zieht ENZIO an der goldenen Kette in die Kammer, nicht viel anders als einen Maulesel:
Greift zu, Messere Arsinelli, – die Sicherheit der Republik liegt in Euren Händen.

ALBINGO, widerlich anzüglich:
Sucht auch weiter unten, wo alle Männer ihr Schwert haben. Ähä!

PIETRO ist in die Kammer gefolgt:
Schließt die Tür.

Das tut LAMBERTINO.

DIE MESSERI versorgen ihre Dolche.

PIETRO versucht mit Behutsamkeit herauszufinden, ob er in ENZIO einen Gespielen haben wird:
König von Sardinien, ich bin solchermaßen legitimiert, Euch – zu berühren. Nehmt, so bitte ich, die Arme hoch.

ENZIO tut das, steinernen Gesichts. Eine Falkenfeder, die er irgendwo im Ärmel versteckt hatte, schwebt zu Boden.

PIETRO hebt sie auf, verliebt:
Eine Falkenfeder, gewisslich zum Troste des Gefangenen. Der Knabe Enzio hieß am sizilischen Hof des Vaters nur Falconello… Wie gerne würde der gefangene König jetzt wieder zur Falkenbeize reiten… Ich weiß alles über Euch. Die Feder ist keine Waffe.
Er umkreist ENZIO. Ein wenig verschwörerisch, jedenfalls leise:
Ich würde Euch das Absuchen ersparen, wüsste ich, dass es Euch im geringsten lästig ist.
Ganz vorsichtig ihn berührend:
Oder – angenehm…?
Nach weiterer Pause:
Ihr dürft mit mir sprechen.
Da ENZIO schweigt, streicht-streichelt er den noch erhobenen Unterarm hinunter bis zur Taille, dann umarmt er ihn plötzlich heftig von hinten.

ALBINGO hat das kleine Fenster in der Kammertür entdeckt und schaut hindurch, hat MICHELE und LAMBERTINO herangewinkt.

Sie sehen, wie ENZIO mit dem Ellbogen PIETRO heftig wegstößt – verstößt, so dass er taumelt und fast stürzt.

LAMBERTINO faucht in die Kammer:
He, König!, der Krieg ist zu Ende!

MICHELE:
Dem Gefangenen geziemt ein gelähmter Arm!

PIETRO will dringendst abwiegeln:
Messeri, so beruhigt Euch, ich bin gestolpert! Und ich kann versichern: der gefangene König von Sardinien trägt keine versteckten Waffen auf dem Leib. Nur diese Falkenfeder.
Die legt er draußen auf den Tisch.

LAMBERTINO wills genug sein lassen:
So lösen wir seine Fessel.
Er sucht in Taschen, dann:
Messere Michele, den Schlüssel.

MICHELE, etwas erstaunt, auch in Taschen suchend:
Ich habe doch den Schlüssel nicht, Messere Arsinelli, den Schlüssel! 

PIETRO, schon nur noch symbolisch suchend:
Den habe ich nicht. Messere di Ebubo!

ALBINGO macht sich ein Such-Späßchen, auch in Anlehnung an die Grabschereien und Kitzligkeiten vorher:
Ich? Den Schlüssel? Ja, wo hab ich den denn? Hier? Oder hier, wo ich kitzlig bin? Ähä! Nein, hier. Oder wo?

LAMBERTINO:
Messeri, wer hat den König gefesselt?

ENZIO, nach einigem Schweigen:
Der Podestà.

LAMBERTINO:
So wird er den Schlüssel haben. Messere di Ebubo, geht zum Podestà.

ALBINGO:
Ich eile, ich fliege.
Dementsprechend leichtfüßig versucht er, durch die Tür zu gehen, die aber verschlossen ist:
O, ich vergaß, wo wir sind. Ähä!

LAMBERTINO klopft an die Tür.

DER SOLDAT erscheint im Fenster.

LAMBERTINO:
Öffne!

Schließ- und Riegelgeräusche.

LAMBERTINO.
Ich übernehme die Wache bis zum Sonnenuntergang. Messere Arsinelli, dann löst Ihr mich ab zur ersten Nachtwache. Messere degli Orsi, Ihr seid dann morgen zum Sonnenaufgang zur Stelle. Die Kammer des Wächters befindet sich draußen vor der Treppe. Gehen wir.

Das tun sie, wiederum unter etwas alberner Beachtung aller Sicherheitsvorkehrungen.

Schließ- und Riegelgeräusche.

ENZIO, der Gefangene ist zum ersten Mal allein. Denkbar, dass er lange wie angewurzelt steht, dann der Blick verloren über Wände und Decke taumelt. Er tigert zur Tür und untersucht deren Verschlossensein.

Das Fensterchen in der Tür geht ruckartig auf.

LAMBERTINO schaut hindurch.

ENZIO erschrickt, steht kurz Auge in Auge mit seinem Wächter, erkennt, dass er stets beobachtet werden kann. Er rennt in die Kammer, deren Tür er schließt.

LAMBERTINO verschwindet vom Fensterchen, das er schließt.

ENZIO lehnt einen Augenblick mit dem Rücken innen an der Kammertür, sieht irgendetwas an der gegenüberliegenden Seite, tastet die Stelle ab, ob sie Ausbruchsmöglichkeiten bietet, aber es scheint nicht so; er versucht, mit dem herumschweifenden Blick die Architektur zu durchschauen: Auf Anhieb sind keine Schwachstellen auszumachen. Ihm wird schlecht. 
Wie wird mir – ich ersticke!…
Er rennt aus der Kammer – es ist ihm egal, ob LAMBERTINO ihn noch beobachtet oder nicht -, zum Fenster, stolpert über Balken und Spiegel, stürzt aber nicht, befördert den Spiegel mit einem kräftigen Fußtritt, dass er zerbirst, unter irgendwelches Mobiliar. Er will das Fenster öffnen, das geht mit der Fesselung nicht. Er schlägt auf die Leinwand im Rahmen ein. Unter Krachen gibt sie Licht und Luft frei. ENZIO beugt sich weit aus dem Fenster, japst nach Luft.

Schließ- und Riegelgeräusche.

LAMBERTINO eilt herein:
Wollt Ihr schon wieder fliehen?

Schließ- und Riegelgeräusche hinter ihm.

ENZIO:
Luft will ich, – Licht, sonst nichts.

LAMBERTINO bemüht sich vergeblich, das Fenster zu flicken, höhnisch im Argwohn:
Sonst nichts?

ENZIO bequemt sich zu bekennen:
Aus diesem Fenster springt nur, wer den Tod sucht. Ich aber suche das Leben, die Freiheit, das Gefecht.

LAMBERTINO:
Das ist mehr – viel mehr als Licht und Luft. Die Republik Bologna wird alles tun, dass Ihr nicht findet, was Ihr sucht! Wir haben keine Kosten gescheut für Schlösser und Riegel.

ENZIO:
Mein Vater wird sie sprengen, – der Kaiser!

LAMBERTINO höhnt:
Der Ketzer, den der Papst kraft göttlichen Amtes abgesetzt und gebannt hat. Es gibt keinen Kaiser mehr!

ENZIO, böse:
So kläffen die Pinscher!

LAMBERTINO, gereizt:
Falsch! Der Pinscher hat das Maul nicht frei zum Kläffen. Er hat die Zähne im Nacken eines feisten Ebers, hält ihn gefangen!
Er hat fest zugepackt, von hinten, am Hals…

ENZIOS, der sich mit geschickter Gewalt rasch zu befreien weiß. Mit schneller Drehung steht er LAMBERTINO angriffslustig gegenüber.

LAMBERTINO hat den Dolch gezückt und ist lauernd auf der Hut:
Wenn ich Euch jetzt niedersteche, gibt es keinen Zeugen.

ENZIO, mutig, ohne sich zu rühren:
Aber eine Leiche, die Euch anklagt.

LAMBERTINO weiß überlegenen Rat, zieht einen zweiten Dolch:
Wohl bedacht, Herr König: Ich werde diese liebliche Waffe in Eure eiskalte Hand legen, mich ein wenig stechen, da oder hier, und sagen, dass Ihr mich meucheln wolltet.

ENZIO folgert haarscharf genau:
Wer so gefesselt ist, dessen Hand taugt nicht zum Meucheln.

LAMBERTINO, kurz irritiert:
Was? Oh, ich vergaß.
Er versorgt die beiden Dolche.
Ich tus ja nicht. Ihr seid tot genug in diesem Gefängnis. Fühlt Euch nur zu Hause wie im Grab. Ich will Euer Totenwächter sein bis ans selige Ende meiner Tage.
Er kommt ihm unangenehm nahe, grinst:
Das ist ein seltenes Glück: ein Feind so nah und machtlos…

ENZIO weicht ihm nicht aus:
Ich bin schlecht geübt im Kampf mit Wörtern. Wenn ich mein Schwert wieder führe, beim Kreuz des Herrn, – dann will ich Euch Genüge tun!

LAMBERTINO löst die Nähe, zornig:
Ein Ketzer im Bann führt den Namen des Herrn nicht im Munde. Was tut Ihr, wenn der Friede kommt?! Wohin werft Ihr Eure Mordgelüste? Dreihundert Bologneser habt Ihr aufgehängt an den Ufern des Po!

ENZIO fühlt sich in diesem Belang nicht schuldig:
Soll ich alles, wofür ich gekämpft habe, wegwerfen?, – es hieße: meinen Vater wegwerfen. Ihm habe ich die Straßen nach Deutschland freigeschossen und offengehalten. Jeder tote Feind war ein Opfer, das ich meinem Vater brachte. Die aufgeknüpften Bologneser waren Soldaten in Waffen, keine Friedensengel. Ich sorge nicht, dass mein Vater mich aus diesem Kerker befreit. Er sorgt.

LAMBERTINO:
Kerker? Da muss ich lachen. Dies ist ein königlicher Palast – freilich mit guten schweren Schlössern.
Aus dem Fenster erklärend:
Da drüben unter dem Turm des Grafen Malvasia liegen Verliese, in die nie ein Lichtstrahl dringt. Wäre es nach mir gegangen, – der Kaiserbastard schmachtete jetzt da unten bei Brot und Wasser. Aber man hörte nicht auf mich, man ließ sich blenden vom Königstitel, ich wurde überstimmt, besiegt. Ihr wisst am eigenen Leibe, was es heißt, besiegt zu werden. Man goss Balsam in meine Wunden und machte mich zum Oberwächter. Ich werde Euch halten wie ein Kerkermeister mit der ganzen Turmeslast da drüben, seid dessen gewiss! Kind und Kindeskinder werden mir danken für meine Strenge.

ENZIO, auch nicht ganz fein lauernd:
War nicht die Rede, dass Ihr kinderlos seid?

LAMBERTINO, wieder an empfindlicher Stelle getroffen:
Üble Rede!

ENZIO stichelt weiter:
Wie heißen sie denn, die lieben Kleinen?

LAMBERTINO, nur ganz kurz ratlos:
Was? Wie sie – Cesare, Francesco, Erasmo, Clementino, Giacomo, Giuglielmo, Marino, Pietro, Cesare –

ENZIO:
Cesare hatten wir schon.

LAMBERTINO:
Es gibt nicht Namen genug für die Zahl meiner Söhne!…

ENZIO, ungläubig, spöttisch:
So viele also…? 

LAMBERTINO:
Werde ich haben, ja. Noch bin ich nicht lendenlahm. Ich rede zu viel mit einem, dem kein Gespräch erlaubt ist.
Er nimmt die Falkenfeder vom Tisch, zerbricht sie, wirft sie aus dem Fenster und doziert dabei:
Meines Amtes ist es, den Gefangenen strenge zu halten.

Schließ- und Riegelgeräusche.

ALBINGO kommt rein, voller Neuigkeiten:
Wisst Ihr das Neueste?

LAMBERTINO:
Wo ist der Schlüssel?

ALBINGO:
Fragt mich, wo der Podestà ist! In seinen Weinbergen, extra muros.

LAMBERTINO:
So reitet zu ihm. Oder sucht den Schlosser. Die Fessel muss ab.

ALBINGO:
Ja doch, aber erst die Neuigkeit: Der Kaiser –

LAMBERTINO verbessert:
Der Nichtkaiser!

ALBINGO versteht nicht:
Nicht der Kaiser? Doch der Kaiser! Er will seinen Sohn, den König von Sardinien, unseren werten Gefangenen, auslösen mit einer silbernen Kette von der Länge der – nun ratet!

LAMBERTINO:
Lasst Eure Faxen! Einer silbernen Kette von der Länge der … ?

ALBINGO, tief beeindruckt:
… Bologneser Stadtmauer, ringsherum, stellt Euch vor!: Porta San Felice, Porta Galliera, Porta San Donato, Porta Mascarella, Porta San Vitale, Porta Castiglione… ringsherum Silber, echtes.

ENZIO hat zwischendurch stoßgeseufzt: 
Dem Vater sei Dank!…

LAMBERTINO:
Sie wird die Stadt eher umschließen, als wir diese Fessel gelöst haben. So eilt zum Schlosser. Er hat gewiss einen Zweitschlüssel.

ALBINGO:
Noch eine Neuigkeit: In der Via Portanova hörte ich eine Dame flüstern, Lucia da Viadagola werde nun mehr Zeit zum Beten brauchen.

LAMBERTINO:
Was soll das Rätsel?

ALBINGO:
Weil sie König Enzio in jedes Gebet einschließen will – ähä! Ich eile, ich fliege zum Schlosser!
Er hat die Tür wieder verschlossen gefunden und klopft:
O, ich vergesse immer, wo wir sind.

DER SOLDAT erscheint im Fensterchen.

ALBINGO:
Lass mich raus.

Die Tür wird unter Schließ- und Riegelgeräuschen geöffnet.

ALBINGO schlüpft raus.

ENZIO fällt unerwartet auf die Knie, er kriecht herum und sucht nach den Spiegelscherben, nach der größten, er sucht immer verbiesterter, weils gefesselt sehr mühsam ist.

LAMBERTINO:
Lucia da Viadagola mag beten so viel sie will. Morgen noch werden die Statuten ergänzt: Keiner Frau wird jemals der Zugang zum Gefangenen erlaubt.
Da ENZIO fast verschwunden ist:
He, ich rede mit Euch!

ENZIO, ohne aufzuschauen:
Was Ihr gar nicht dürft. Die Statuten verbieten das.

LAMBERTINO geht verärgert zur Tür und klopft:
Euch wird die Frechheit vergehen! Stumm werde ich bleiben. Anflehen wird mich der König um ein einziges Wort.
Zum SOLDATEN, der im Fensterchen erschienen ist:
Öffne!
Er geht unter Schließ- und Riegelgeräuschen.

ENZIO hat die wohl größte Scherbe gefunden und dürfte einige Mühe haben, sich bei gefesselten Händen darin zu spiegeln. Er wird die Scherbe auf das Fensterbrett legen müssen, um den nötigen Abstand zu kriegen; vielleicht tastet er seinen Mund ab auf der Suche nach dem Lächeln; er findet es:
Herrgott sei Dank, – da habe ich das Lächeln wieder…

Schließ- und Riegelgeräusche.

LAMBERTINO kommt rein und zieht die widerstrebende SERVINELLA hinter sich her.

SERVINELLA keift:
Was solls, Messere, wollt Ihr mich zum König sperren?

LAMBERTINO geht zu ENZIO, der die Spiegelscherbe gerade noch greifen kann, und führt ihn wieder an der Kette in die Kammer.

ENZIO sträubt sich:
Messere, was bedeutet das? Die Sonne steht noch hoch am Himmel. Die Statuten –

LAMBERTINO sperrt ihn ein.

SERVINELLA öffnet das Fensterchen der Kammertür:
Aber der arme König hat doch Recht!

LAMBERTINO schlägt das Fensterchen vor SERVINELLAS Nase wütend zu, wobei der Schlüssel zur Kammer von ihm unbemerkt (auch die Zuschauer müssen das nicht mitkriegen) in die Kammer fliegt:
Es ist vor Sonnenuntergang oder?

SERVINELLA:
Wenn Ihr das so seht, dann ist es den ganzen Tag lang vor Sonnenuntergang.

LAMBERTINO zieht sie ins Vertrauen, ab hier sehr verschwörerisch und immer dringlich:
Hör zu, alte Hexe, ich muss einen Sohn haben.

SERVINELLA weiß das:
Ja.

LAMBERTINO, wieder empfindlich getroffen:
Wieso sagst du ja? Spricht man in der Stadt von meinem Sohn?

SERVINELLA weiß sich zu entziehen:
Ihr habt doch keinen.

LAMBERTINO:
Aber ich brauche einen!

SERVINELLA tut viel scheinheilig:
Was kann ich dazu tun?

LAMBERTINO gibt ihr Geld, das sie sehr bereitwillig nimmt:
Vielleicht sehr viel. Tu nicht, als seist du keine Hexe. Dies Goldstück, damit zu schweigst wie ein Grab. Mehr Goldstücke, wenn du mir hilfst.

SERVINELLA:
Wie denn?

LAMBERTINO:
Es sollte mich doch sehr wundern, wenn du nicht Tränke zu brauen wüsstest, die mir zu einem Sohn verhelfen.

SERVINELLA muss sich ja auch gegen Hexenverdächtigungen absichern:
Ich? Tränke? Einen Sohn?… Aber vielleicht ist der Schoß Eurer Frau kalt?

LAMBERTINO gibt ihr Geld:
Noch ein Goldstück, damit du auch ja schweigst: Er ist heiß wie die Hölle. Servinella, es liegt an mir: Mir will kein Baum wachsen, dass meine Frau ihn absägen könnte… 

SERVINELLA, sehr einverständlich:
Freilich, da lassen die Söhne auf sich warten.

LAMBERTINO will zum Punkt kommen:
Weißt du Tränke dagegen?

SERVINELLA, doch auch ein Aas:
Gegen Bäume?

LAMBERTINO, ungeduldig:
Für!, Servinella, für!

SERVINELLA brabbelt:
Sellerie, Rabeneier, Theriak venezian im Wieserlblut, vielleicht Wolfsherz, viele seltene Kräuter, Spezereien aus dem Orient – sehr teuer…

LAMBERTINO gibt ihr Geld:
Wenn ich mir nur einen Sohn kaufen kann…

SERVINELLA:
Der erste Schluck, wenn der Mond über den Berg steigt, den zweiten, wenn der Mond am höchsten steht, den dritten, wenn der Mond hinter dem Fluß untergeht, sieben Nächte lang.

LAMBERTINO:
Gib her, den Trank!

SERVINELLA, abfällig über so viel Hast:
Das braucht Zeit, – dreimal muss der Uhu schreien, dreimal muss der Wind ins Feuer fahren, drei Katzen müssen sterben…

LAMBERTINO:
Was ist, wenn der Mond hinter Wolken steht?

SERVINELLA:
Dann geht der Zauber nicht.

LAMBERTINO:
Ich brauche den Sohn aber bald!

SERVINELLA:
Ein Gebet mehr. Die Wolken werden ein Einsehen haben.

Schließ- und Riegelgeräusche.

ALBINGO kommt fröhlich rein:
Wisst Ihr schon das Neueste?

LAMBERTINO:
Wo ist der Schlüssel?

ALBINGO übergibt ihn:
Hier. Der Schlosser hatte einen zweiten.

LAMBERTINO:
Endlich!
Er will in die Kammer.
Wo ist der Schlüssel?

ALBINGO versteht nicht: 
Ich gab ihn Euch.

LAMBERTINO sucht rum:
Nicht der! Der andere!

ALBINGO:
Braucht es zwei Schlüssel, des Königs Fessel zu lösen?

LAMBERTINO wird wieder ungeduldig:
Nein!, der Schlüssel hier von der Kammer! Servinella?

SERVINELLA, schon reichlich perfide:
Unser Redegegenstand war Euer Sohn.

ALBINGO, sehr erstaunt:
Ihr habt einen Sohn?

SERVINELLA:
Wird!, wird haben – in neun Monden…

LAMBERTINO öffnet das Fensterchen in der Kammertür:
Vielleicht können wir durch dieses Fenster hindurch die Fessel lösen…?
Ein Wort zu ENZIO:
Er sitzt seit seiner Einschließung bewegungslos auf seiner Pritsche.

ALBINGO:
Ja, das wäre lustig! Ähä!

LAMBERTINO schließt das Fenster:
Nein, das ist ganz unmöglich.
Er macht es wieder auf und starrt auf den Kammerboden: 
Moment mal, da drin liegt ja der Schlüssel!

ALBINGO und SERVINELLA drängeln:
Was? Wo? Tatsächlich!…

LAMBERTINO macht das Fensterchen wieder zu:
Alles wegen der kreuzneugierigen Servinella! Als ich ihr das Fensteer vor der Nase zugeschlagen habe, muss der Schlüssel reingefallen sein.

ALBINGO:
So müssen wir den König um die Herausgabe des Schlüssels bitten.

LAMBERTINO:
Nie!

ALBINGO echot:
Nie!
Nach kleiner Pause:
Was aber tun?

LAMBERTO, nach wiederum kleiner Pause:
Nie!

ALBINGO:
Nie!

SERVINELLA geht nach kleiner Pause zum Fensterchen und öffnet es:
Majestätchen, reich uns doch bitte den Schlüssel heraus. Wir schließen dir auch die Fessel auf.

Das tut ENZIO, dann setzt er sich wieder.

LAMBERTINO schließt die Tür auf:
Sag nie wieder Majestät zu dem Gefangenen!

SERVINELLA:
Ich hab ja Majestätchen gesagt.

ALLE gehen in die Kammer, umstehen ENZIO:

LAMBERTINO sucht wieder:
Wo ist der Schlüssel?

ALBINGO:
Welcher?

LAMBERTINO:
Von der Fessel?

ALBINGO:
Ich übergab ihn Euch.

LAMBERTINO sucht ihn in einer Tasche:
Ja doch! Hier ist er!
Das Aufschließen ist nicht so einfach:
Man müsste knien, um aufzuschließen. Aber nie kniet ein Wächter vor einem Gefangenen.

ALBINGO:
Nie. Was aber tun?

SERVINELLA, nach kurzer Pause:
Gebt her.
Sie nimmt den Schlüssel, kniet sich hin und schließt auf.

ENZIO springt auf, reckt sich, bewegt wie wild die Arme, so dass LAMBERTINO und ALBINGO aus der Kammer fliehen. Auch SERVINELLA geht raus.

LAMBERTINO schließt die Kammertür zu:
Nun sagt, was es Neues gibt.

ALBINGO, mit double-break:
Neues? Wieso Neues? Ach so, ja!: Die Stadt will die silberne Kette vom Kaiser nicht.

LAMBERTINO macht das Fensterchen auf:
Was? Das muss er hören!

ALBINGO bezieht die Kammer in seine Rederichtung ein:
Ja, das consiglio lehnt des Kaisers Angebot ab, als Preis für König Enzios Freilassung eine silberne Kette um die Stadtmauer zu legen. Das consiglio sagt: Der König ist höheres Pfand wert als einen Haufen Silber.

ENZIO sackt betroffen auf die Pritsche:
Vater, hilf weiter…

Ab hier Dämmerung bis Dunkelheit zum Aktschluss.

Schließ- und Riegelgeräusche.

PIETRO kommt herein, eigentlich guter Dinge:
Tramonto, die Sonne küsst den Horizont.

LAMBERTINO hat in jeder Hand einen Schlüssel, übergibt einen an PIETRO:
Ja hier ist der Schlüssel zur –
Er ist unsicher:
Nein, dies der Kammerschlüssel, – oder doch der?

Da PIETRO immer zugreifen will, entsteht ein Handgemenge, das damit endet, dass LAMBERTINO noch einmal die Kammertür auf- und zuschließt.

ALBINGO nimmt den anderen Schlüssel und probiert das Fesselschloss. Sie reden zugleich:

LAMBERTINO:
Dies der Schlüssel zur Kammer.
Er übergibt ihn PIETRO.

ALBINGO:
Dies der Kettenschlüssel.

LAMBERTINO, zu PIETRO:
Bewahrt ihn, Wächter vom Dienst, bis zur Übergabe an Messere degli Orsi bei Sonnenaufgang. Und haltet den Gefangenen sicher. Und sagt ihm, dass draußen ein Diener wartet, der ihm beim Entkleiden helfen soll.
Er klopft an die große Tür:
Lass uns raus!

Schließ- und Riegelgeräusche.

ALBINGO, anzüglich:
Die erste Nacht, Pietro, – ähä!…

Es gehen LAMBERTINO, ALBINGO, SERVINELLA.

PIETRO geht nach einer Weile zur Kammertür, öffnet das Fensterchen, alles zärtlich behutsam, spricht nach einer Pause:
Wir kennen einander – von der Schlacht an der Scultenna, die Eure letzte werden sollte. Die Brücke Sant’Ambrogio, die Brücke der Niederlage für Euch Kaiserliche… Ich sah Euch im Gefecht und dachte nichts als: Herrgott, schenke mir die Nähe zu diesem Feind. Da legtet Ihr einen Pfeil an und zieltet auf mich. Ich tat nichts, ihn abzuwehren. Er streifte das Ohr meines Pferdes und traf den edlen Ritter Prendiparte so unglücklich im Hals, dass er vom Pferd stürzte und an seinem Blut erstickte. Wenig später wart Ihr gefangen…
Nach einer Pause:
Draußen wartet ein Diener, Euch beim – beim Entkleiden zu helfen.

ENZIO ist verschlossen:
Ich brauche ihn nicht, danke.

PIETRO:
Das wird ihm recht sein. Er schien müde.

ENZIO verbiestert sich in herrlicher Vision:
Ich gelobe, diese Kleider nicht abzulegen, bis ich das Licht der Freiheit wieder koste. Dann werde ich im Flusse Scultenna baden, am Ufer schlafen, unterm Sternenzelt, und am Morgen davongaloppieren, um wieder zu kämpfen und Siege davonzutragen…!

PIETRO, mit verhaltener Melancholie:
Ja, Siege trägt man davon, die Toten bleiben liegen.

ENZIO, recht verächtlich:
So schwätzen die Wächter. Höre, Wächter, mein Vater braucht Siege, keine Trauer.

PIETRO schließt das Fensterchen, geht zur großen Tür, klopft.

DER SOLDAT erscheint im Fenster.

PIETRO, leise:
Lass mich raus.

Schließ- und Riegelgeräusche,

PIETRO geht raus.

Schließ- und Riegelgeräusche.

ENZIO sitzt regungslos in absoluter Stille, so lange, dass die Spannung kaum erträglich bleibt. Sie löst sich in einem zunächst fast unhörbaren, dann immer lauter werdenden Weinen des Gefangenen. Niemand wird sagen können, wann genau es angefangen hat…

Langsam verlöscht das letzte Licht, schließt sich der Vorhang.

***

KÖNIG GEFANGEN – Zweiter Akt

Komödien von Peter Podehl