Kommen und Gehen – Bild 2

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Bühnenbild von Rolf Christiansen

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Kommen und Gehen – Zweites Bild

Wohnzimmer

Tür zur Diele links, Tür hinten, Fenster rechts. Gemütliche Sitzecke, Plattenspieler, Schreibtisch, Bücherschrank, Teppich, Bilder. Geschmackvoll und wohnlich.

(Abend. Ein wenig Unordnung. Leise Radiomusik.)

SIE (sitzt und stopft Strümpfe.)

(Man hört die Wohnungstür gehen.)

ER (kommt mit Hut und Mantel hereingestürmt, ist wütend:)
So ein dummes Volk!

SIE
Habe ich eine solche Begrüßung verdient?

ER
Nein, entschuldige bitte! (Begrüßt sie zärtlich.)

SIE
Wo ich dir schon fünf Paar Strümpfe gestopft habe.

ER
Aber das brauchst du doch gar nicht, Eva! (Hängt Hut und Mantel in die Diele.)

SIE
Wer soll es denn tun? Von selbst gehen diese Riesenlöcher doch nicht zu!

ER
Meine Mutter hätte es wohl eigentlich tun können. Aber seit du da bist, hält sie das anscheinend nicht mehr für nötig.

SIE
Das ist schon in Ordnung.

ER (weiterhin etwas erregt:)
Nein, Du bist schließlich meine Geliebte –

SIE (unterbricht lächelnd:)
Was bin ich?

ER
Jedenfalls nicht meine Wirtschafterin. Ich finde es nicht richtig, wo du sowieso deine Arbeit hast.

SIE
Ich tue es sehr gern.

ER
Das weiß ich, Eva. Aber ich merke doch, dass das ausgesprochene Schwiegermutterallüren sind. Du kannst dir nicht vorstellen, was für eine Scene ich eben mit ihr hatte.

SIE
Aber warum denn, am Abend vor deiner Einberufung?

ER
Das habe ich sie auch gefragt. Aber ihr war anscheinend die Tatsache, dass ich den heutigen Abend mit dir verbringe, wichtiger, als dass ich morgen einrücken muss.

SIE
Ja, Mütter geben ihre Söhne ungern her; das hat meine Mutter oft mit erhobenem Zeigefinger gesagt.

ER
Sie hätte sich zusammennehmen können. Ich kann mir ja gut vorstellen, dass es für eine Mutter nicht leicht ist, ihren Sohn an eine andere zu verlieren.

SIE
Noch dazu einen so reizvollen.

ER
Eben. Wer weiß, wie wir uns benehmen würden.

SIE
Wir? Wir beide? Ach Peter, das hat ja noch Zeit. Bis dahin gibt es keine Einberufungen mehr, und alle Frauen sind Engel.

ER
Du bist jedenfalls jetzt schon einer. Aber –

SIE (unterbricht:)
Nur in deinen Augen, nicht in denen deiner Mutter.

ER
Aber Einberufungen wird es, fürchte ich, immer noch geben.

SIE
Nein, dann will ich kein Kind. Es wird mir schwer fallen, es eines Tages an eine andere Frau zu verlieren. An eine Wehrmacht will ich es keinesfalls verlieren.

ER
Du wirst es nicht hindern. Es wird immer Kriege geben. Ich hatte ein sehr interessantes Gespräch mit meinem Vater.

SIE
Dein Vater ist Berufsoffizier. Das ist ein aussterbender Beruf –

ER
Du hast ja sehr pazifistische Ideen!

SIE
Hab ich auch!

ER
Du machst mir damit das Einrücken nicht leichter.

SIE
Gehst du denn etwa gerne zum Militär?

ER (zuckt die Achseln.)
Gerne…? Ich verlasse dich sehr ungern. Aber irgendwie ist es doch ein Abenteuer. Und dann gibt es doch so etwas wie Pflichtgefühl.

SIE
Das sind mir zu männliche Sachen. Ich sehe das Ganze wohl mit den Augen der Geliebten, – wie du vorhin schon sagtest.

ER
Hat dich das beleidigt?

SIE
Im Gegenteil. Aber als Geliebte habe ich Angst um dich. (Leise:) Ich will nicht, dass du stirbst.

ER (verwaschen:)
Ich werde nicht sterben, ich bin ja noch so jung.

SIE
Das ist ja wohl keine sehr logische Folgerung. Ich glaube, Millionen von Menschen gehen mit der gleichen, sehr fragwürdigen Hoffnung heute durch die Welt. Vielleicht gibt es so eine Unsterblichkeit; aber ich glaube nur mit Glauben und Religion, – wenn man betet.

ER
Hör davon auf.

SIE
Lass mir meine Kirche!

ER
Ich lasse sie dir. Lass du mir meine Jungenshoffnung, dass ich nicht sterben werde.

SIE
Behalte sie. Aber es geht nicht nur um das Sterben, Peter es geht auch um das Töten. Wie steht es damit?

ER
Ach, die alten Weltkriegshasen sagen immer, dass man keine Skrupel mehr kennt, wenn es heißt: er oder ich?

SIE
Ist das gut, wenn man keine Skrupel mehr kennt?

ER
Eva, wir beide reden Blödsinn! Irgendwie muss der Krieg beendet werden. Und dann doch lieber durch den Sieg unseres Landes.

SIE
Schönes Land, das euch alle zu Mördern macht.

ER
Eva, ich glaube, du denkst zu kurz. Sollen die Feinde kommen?

SIE (unterbricht:)
Ich glaube, du denkst zu kurz: Ich habe doch gar keine Feinde!

ER
Aber du gehörst zu den Feinden der anderen Nation!

SIE
Hör auf, ich mag diese Sachen nicht. Vielleicht bin ich dumm.

ER
Sei doch verständig. Ich will lieber dich verteidigen und Schweres auf mich nehmen, als dich den Gefahren der Niederlage preisgeben.

SIE
Ich kann nur beten.

ER
Jedem das Seine: Ich werde kämpfen.

(Telefon klingelt.)

SIE (meldet sich.)
373 -84.—Einen Moment bitte. (Zu ihm:) Putzi will dich sprechen.

ER
Wer ist denn Putzi? (Nimmt den Hörer.)

SIE
Das müsstest du eigentlich wissen. (Schaltet das Radio ab.)

ER
Hallo? — Ach du bist es?! Woher diese Diskrepanz zwischen deinem wirklichen Namen und Putzi? — Ach so. — Ja. — Das geht dich nichts an, wer das war. — Nein. — Ja, morgen. – Nein, morgen früh. – Nein, können wir nicht mehr. – Ausgeschlossen! – Was verstehst du? – Aber, nicht so böse, wo ich doch morgen einrücke! – Was interessiert dich denn dann? – Hüte dich, eine Diskrepanz zu schaffen zwischen deinen Gelüsten und den Forderungen des Tages. – Das ist nicht moralisch, das ist …

SIE (flüsternd:)
Vaterland, Vaterland!

ER
Das sind vaterländische Gedanken. – Nicht ans Ende der Welt. Ich besuche dich im Urlaub. Auf Wiedersehen! (Legt auf.)

SIE
Zweimal hast du Diskrepanz zu ihr gesagt. Das ist doch ein Überfall auf einen schlichten Menschen. Im übrigen hoffe ich, dass dieses Gespräch zu den letzten gehört, die du mir mit unbekannten jungen Damen führst!

ER
Spuren von Eifersucht?

SIE
Nein, aber … (Stampft mit dem Fuss auf.) Ja.

ER
Eifersucht macht die Männer sehr eitel.

SIE
Du bist ein dummer Junge und ich muss jetzt gehen.

ER
Aber Eva, das wäre doch den Krach mit meiner Mutter nicht wert gewesen.

SIE
Ach? Bloß deshalb?

ER
Nicht bloß deshalb, sondern… Du weißt, ich kann dich mit Schmollmündchen nicht leiden.

SIE
Nein, Peter, ich muss jetzt gehen, weil ich als anständiges Mädchen nicht so lange bei einzelnen Herren bleiben kann.

ER
Eva…! (Fasst sie an den Schultern.)

SIE (wirklich scheu:)
Verführe mich nicht. Heute ist die Gefahr besonders groß, weil wir uns trennen müssen und weil du heute so – besonders liebenswert bist.

ER (umarmt sie:)
Du, ich bin so glücklich. Und ich bin gewiss und so zuversichtlich, dass mir nichts passieren wird. Ich glaube, ich werden die Zeit leicht überstehen. Weißt du, in diese Weltgeschehnisse als winziges Rad einzugreifen, das ist ein Geschenk. Eva, dieser Krieg ist mehr als ein materieller Kampf… Und Kampf ist der Vater aller Dinge.

SIE
Und die Liebe ist die Mutter aller Dinge. Peter, vergiss die Liebe nicht.

ER
Eva! (küsst sie lange.)

SIE (atemlos)
Peter, was tust du denn?

ER
Ich … ich hab dich so furchtbar lieb!

SIE
Ich dich doch auch. Und … (bricht ab.)

(Alarmsirene)

SIE
Die Sirene?!

ER
Fliegeralarm! Nicht mal in Ruhe Abschied kann man nehmen. Mach das Licht aus.

SIE (schaltet aus.)
Wollen wir oben bleiben?

ER
Wir bleiben oben. Du musst dir hier eine Verdunklung anbringen lassen.

SIE
Ich hoffe immer, dass der Krieg so geschwind ist, dass wir sie gar nicht mehr brauchen. (Erschrocken:) Peter!

ER
Was denn?

SIE (geht zu ihm:)
Was hast du eben gesagt?

ER
Was habe ich denn gesagt?

SIE
I c h   muss   h i e r   eine Verdunkelung … Was habe ich denn mit dieser Wohnung zu tun? (Sehr gespannt:) Peter, du steckst mir einen Ring an den Finger. Den Verlobungsring …?! Peter…!

ER
Ja, ich möchte, dass du mir gehörst für immer, für dieses Leben.

SIE
Nein, für immer, Peter. (Wird sehr glücklich.) Ich muss dir etwas schenken.

(Alarmsirene)

ER
Schon vorbei, Gott sei Dank. (Macht das Licht wieder an.) Der Krieg scheint doch nicht so schlimm für die Zivilbevölkerung zu werden, wie ich dachte.

SIE
Sprich nicht mehr von all dieses Dingen bis morgen früh.

ER (froh:)
Eva, bleibst du bei mir? Bis morgen früh?

SIE
Das ganze Leben, Peter, und länger. Ich stopfe dir tausend Strümpfe. Ich will ein Kind von dir. Ich muss dir etwas schenken, nachher.

ER
Du, ich beantrage gleich Heiratsurlaub.

SIE
Ja, dann heiraten wir! Fein!

ER
Aber nicht in der Kirche!

SIE
Dann lasse ich mich im Herzen mit dir in einer ganz wunderschönen Kirche trauen. Mit mir kann man ja reden.

ER
Ich hole eine Flasche Sekt. (Geht hinten ab.)

SIE (ruft:)
Bring die Brote mit, die ich zurecht gemacht habe.

ER (von draußen:)
Stell das Radio an.

SIE (rennt zur Tür, ruft hinaus:)
Ich muss dir nachher etwas schenken.

ER (kommt mit Sektflasche und Teller wieder.)
Warum stellst du das Radio nicht an?

SIE
Weil ich eifersüchtig bin. Ich will dich küssen, da soll keine Ätherwelle zuschauen.

ER
Du bist ja ganz aus dem Häuschen!

SIE
Nein, ich bin nicht einmal aus dem Zimmer: ich bin bei dir. Ich muss dir etwas schenken.

ER
Was willst du mir denn schenken?

SIE
Nachher, junger Mann, nachher.

ER (schenkt ein.)
Es war so ein reizendes Bild, als ich kam und du stopftest Strümpfe.

SIE
Ich muss doch sorgen für meinen kleinen Jungen.

ER (hebt das Glas:)
Auf unsere Liebe, Eva.

SIE (hebt das Glas:)
Ja, auf unsere Liebe. Auf alles Schöne, was daraus erwachsen wird. Auf Christian.

ER
Wer ist denn das?

SIE
Unser Sohn.

ER
Aber das hat doch noch Zeit.

SIE
Jaja, natürlich hat das noch Zeit. Iss! Aber Christian muss er heißen.

ER
Einverstanden.

SIE
Ich bin so glücklich. Immer, wenn ich in den letzten Wochen an unsere Zärtlichkeiten dachte, habe ich gegrübelt, wie das wohl weitergehen soll.
Ja, wir heiraten. Das ist die beste Lösung für ein anständiges Mädchen. Das bin ich doch?

ER
Hochanständig. Und zugleich ein tolles Weib.

SIE
Ich habe das Gefühl, als ob ich im Moment furchtbar viel bin.

ER
Worauf trinken wir?

SIE
Auf den lieben Gott. (Stutzt:) Ach nein, das ist vielleicht doch nicht richtig.

ER
Ich stehe auch nicht sehr gut mit ihm; ich kenne ihn nicht genau.

SIE
Dafür kennt er dich genau. Ich glaube, er steht auch sehr gut mit dir. Man sollte aber wohl nicht auf ihn trinken.

ER
Warum nicht? Die ollen Griechen haben ihren Göttern auch immer Wein geopfert.

SIE
Du bist aber kein oller Grieche. Gott sei Dank.

ER
Wieso?

SIE
Hätte mir doch kein Mensch gesagt, dass mein einziger Geliebter ein oller Grieche war. Lass man die Griechen sein. (Leise:) Ich muss dir etwas schenken. (Steht an der Tür und hält ihm die Hand hin.)

ER
Was denn nur?

SIE
Komm.

BEIDE (gehen nach hinten ab.)

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Zu Kommen und Gehen

Claudia zur hiesigen Veröffentlichung

Presseschau und Zuschauerbriefe von damals

Autobiografischer Monolog von 1947 – Das Stück “Kommen und Gehen” berichtet

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