Peter und der Krieg

Italiano

Meine Großmutter wurde 1880 geboren. Sie war ein unabhängiger Geist, trug Reformkleider, also kein Korsett, studierte Gesang, ging als Kindermädchen nach Odessa. Dort gingen ihr vor lauter Heimweh die Haare aus. Als sie zurückkam, war sie der russischen Sprache mächtig und brachte viele russische Lieder mit. Sie heiratete meinen 10 Jahre jüngeren Großvater und gebar 1922 ihren ersten und einzigen Sohn, da war sie 42. Peter Leonid  wurde auf die damals revolutionäre Steinerschule geschickt, zuhause gaben die Eltern Hauskonzerte, meine Großmutter sang, auch ihre schönen russischen Lieder, mein Großvater begleitete sie am Klavier. Als sie 63 war, wurde ihr Lebenswerk eingezogen. Er musste in den Krieg. Das war 1943, Peter war 21.

Sie durfte seine unversehrte Rückkehr 1945 erleben. Kaum ein Jahr später gab ihr Herz nach, wohl auch, weil das ihres Mannes von einer 20 Jahre jüngeren Frau erobert worden war. Wie viel Herz bei dieser Eroberung eine Rolle spielte, mag dahingestellt sein. So richtig glücklich schien mir die Ehe zwischen den beiden jedenfalls nicht.

Das nachstehende „Tagebuch und Testament eines Unbekannten“ schenkte Peter 1947 Charlotte „Zum ersten gemeinsam verbrachten Geburtstag“, zusammen mit drei anderen Erzählungen. Charlotte blieb bis zum Ende des Jahrtausends an seiner Seite. Aus den wenigen Berichten aus Peters Soldatenleben in Italien weiß ich, dass es absolut authentisch ist.

Ich möchte diese Veröffentlichung in Peter Podehls Internetarchiv meiner mir unbekannt gebliebenen Großmutter Bertha, „Mouji“ genannt, widmen.

Und noch 2 Dinge:
Die Frau auf dem Bild hieß Sophie. Mit Kriegsende ging auch dieser Traum zu Ende.
Peter starb 66 Jahre nach dem Mozart und dem Schubert auf dem „Bechstein“. 

Claudia Podehl
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Tagebuch und Testament eines Unbekannten

Auf einer der schönen Straßen in der Po-Ebene fand ich an einem heißen Sommernachmittag ein blaues Buch. Als ich es öffnete, fiel ein Blatt heraus. Das Buch enthielt die folgenden Tagebuchnotizen, auf dem Blatt stand, mit blauer Tinte fein geschrieben, das Testament, wie ich es wiedergegeben habe, ohne Punkt und Ende… Ich weiß nichts vom Schicksal des Verfassers. Hat er das Buch beim Gehen oder vom fahrenden Lastwagen verloren? Ist es aus einem Tornister gefallen, der einem Verwundeten oder einem Gefallenen gehörte? Lebt er noch? Seine Worte leben.

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Melazzo, 9. September 1944

Es scheint merkwürdig und etwas überflüssig, zu Beginn des sechsten Kriegsjahres ein Tagebuch zu beginnen. Und hat doch seinen Grund.

Das kommende Jahr bringt die vollkommene Umwälzung alles bisher Gewesenen und Bekannten. Die Entscheidung wird allerdings auf keinen Fall in drei Wochen kommen, wie einige Kameraden behaupten, vielleicht erst lange nach Kriegsende.  Aber sie kommt und bringt die Menschen dem Geistigen, ihrer Bestimmung nahe oder lässt sie im Chaos verenden.

Melazzo, 10. September 1944

Es sind zwei Empfindungen, die in meiner Seele in der letzten Zeit Platz gegriffen haben. 

Das eine ist die Angst. Nicht wenn die Bomben in der Nähe fallen oder ich die Bordwaffen rattern höre; sondern wenn es still ist, dann überkommt mich die Angst vor dem kommenden Grauen. Bei wirklicher Gefahr bin ich noch nervös, – das wird sich geben. Nein, oft den ganzen Vormittag lang, dann wieder nur momentweise geklemmt mich dieses Angstgefühl durch die Ruhe, mit der es über meine Seele kriecht und lasten bleibt. Es ist – mehr eine Angst um alle. Ob sie töricht ist, weiß ich nicht. 

Das andere Gefühl steht zu dieser Angst in krassem Gegensatz, wird sich mit ihr nie vereinen können und muss sie überwinden. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl der Sicherheit und Zuversicht. Es hat sich wirksam ausgelöst eigentlich durch die Arbeit an einem weitgespannten Zukunftsprojekt und war noch niemals so stark in mir. 

Sie hat mir einen schönen Brief geschrieben…

San Romano, 13. September 1944

Ein Eisenhagel ist eben über uns niedergegangen. Zwei Jagdbomber griffen unseren Küchenwagen an, der vor unserem Hause stand. Wie Schnürlregen in Salzburg zog die Leuchtspur an den Fenstern vorbei. Man merkt, dass wir verlegt haben. 20 Kilometer ist die Front entfernt. Dort wird gestorben… Ein Kamerad ist gefallen. 

Und doch: als das Motorengeräusch weit weg war, habe ich mich ganz ehrlich nach meinem Gefühl gefragt. Und es sagte zuversichtlich trotz klopfendem Herzen: mit jedem Schuss – Ausdruck des alle Dinge und Menschen beherrschenden Hasses -, den ich höre, wird meine Liebe zu allen Dingen und allen Menschen fester und stärker. Und so soll es bleiben.

San Romano, 14. September 1944

Ja, wir sind an die Front gerückt. Mitten hinein in den Appenin. Über die herrliche ligurische Küstenstraße sind wir gefahren, über Genua und La Spezia, an Gerhart Hauptmanns Villa vorbei. In Genua lagen die Obdachlosen und die, die vor den Bomben Angst haben, in den Straßentunnels. Manchmal berührten unsere Reifen die Decken und die Laken der Schlafenden. Überall auf der Strecke warnen Schilder vor Tieffliegern und Partisanen. Fast alle Orte sind zerstört und evakuiert. 

All das stand in krassem Gegensatz zu dem unendlichen Reichtum und Glanz der Landschaft. Immer wieder habe ich in Italien das Gefühl, dass man diese volle Landschaft trinken und atmen muss, das Schauen genügt nicht. Ich möchte später einmal mit ihr hierher fahren. Es ist ein „Land für Hochzeitsreisen“. Es mag an dem Gefühlsreichtum liegen, den es auszulösen vermag. Es ist zu viel für zwei Augen: es will Wiederhall in zwei geliebten Augen!

San Romano, 18. September 1944

Wir sind wieder kurz vor dem Umzug, gehen etwas zurück. Zuerst muss aber noch die partisanengefährdete Straße erkundet werden. Angeblich sind alle Brücken gesprengt. Wir haben gepackt und sitzen arbeitslos herum. 

Ihr Bild steht noch auf dem halb leeren, halb unordentlichen Schreibtisch, darunter das Rosenblatt aus ihrem Garten. Sie werden immer ganz zuletzt eingepackt.

Als ich Oskar das Bild neulich zeigte, fand er es vergrämt und zu ernst (er kennt sie nicht persönlich). Ich hatte das nie gefunden, und als ich es danach erstaunt betrachtete, musste ich ihm fast recht geben. Fast, – denn es ist etwas Merkwürdiges um dieses Bild. Es sind viele Bilder übereinander. Die Züge ihres Gesichts scheinen in verschiedenen Empfindungen aufgezeichnet und hintereinander gegen das Licht gehalten. Es ist so wie eine Zusammenziehung ihres Wesens, und deshalb liebe ich es so. 

Mein Verhältnis zu ihr mag in der Zukunft auseinandergehen, mag sich festigen oder vergeistigen, – Tatsache und bedeutsam bleibt, dass es ihr Bild  – nicht nur das auf dem Schreibtisch – war, das mich immer begleitete in der langen Zeit des Weltleidens und der Trennung von den Lieben. 

Ja, ihr Bild hat sogar heute meine Meinung über das Kommende und das Kriegsende gefestigt. Diese ineinander verlaufenden Züge aller menschlichen Tiefen weisen auf das kommende Grauen und wehe Erfahrungen, das fast unmerkliche Lächeln (Oskar bemerkte es gar nicht) auf das erste befreiende Atmen nach dem Krieg. Ihre Züge wissen schon nichts mehr von Geschrei, von  Waffentaten und Helden, nur noch Müdigkeit und Frieden und dem Beginn eines neuen Lebens.

Dieses Leben an ihrer Seite müsste herrlich sein!

Santo Stefano, 20. September 1944

Hinter unserer Villa ist ein Weingarten, dessen Besitzer geflüchtet ist. Die Früchte sind von unbeschreiblicher Süße. Die Landschaft ist schön. Das letzte Tal vor der Meeresküste, ganz breit, hinter den Hügeln ahnt man das Meer. Etwas Herbstliches macht die Gegend sehr still. Man könnte vergessen, man möchte es…

Und manchmal vergisst man auch, um bald erschrocken wieder zu erwachen vor dem Gedanken an das Kommende.

Santo Stefano, 25. September 1944

Oskar kommt zu einer anderen Einheit. Ich habe in ihm einen wirklichen Freund gefunden und nun geht er schon zum dritten Mal wieder weg. Wir sind uns gerade, seitdem die Front so laut geworden ist, so nahe gekommen und waren so glücklich.

Aber vielleicht soll es auch so sein. Vielleicht sollen die Dingen aneinander zum Treiben und zum Blühen gebracht werden, und dann in der Einsamkeit reifen. Ich muss immer an den Untertitel der „Wanderjahre“, „Die Entsagenden“ denken…

Santo Stefano, 26. September 1944

Geistlichkeiten kann man vielleicht die Dinge nennen, die uns heute so viel wert sind, wie essen und trinken und mehr wert als Geld.

Man wird stumpf den äußeren Dingen gegenüber. Ich schenke lieber meine Zigarette weg, als dass ich einen kurzen Weg gehe, um sie gegen Brauchbares einzutauschen – eben weil das Brauchbare heute etwas ist, was man nicht mit Zigaretten einhandeln kann. Es ist gut, dass diese Dinge unwichtig werden, vielleicht erkennt man auch mal die Unwichtigkeit von Kanonen.

Briefe, die wir mit Andacht und klopfendem Herzen empfangen, in denen uns Worte im Innersten ansprechen; Briefe, die wir nach langer Überlegung oder aus der Intuition schreiben, wo wir uns Wort für Wort, oder Satz für Satz abringen – das sind Geistigkeiten. Es können klare Gedanken sein, zu denen uns Goethe anregt, es kann die Wärme eines Gefühls sein, das uns ein Sonnenuntergang einflößt.

Alle wirklichen „Dinge“ sind Geistigkeiten!

Santo Stefano, 30. September 1944

Ich weiß nicht, ob ich verwundet werde, ob ich fallen werde aus der Reihe der Lebendigen.

Wenn ich fallen werde, werden einige Leute behaupten, dass der Umschwung zum Geistigen bei Beginn des sechsten Kriegsjahres (besonders dieses Tagebuch) das deutliche Anzeichen, das Ahnen des vom Tode Gezeichneten ist. Falle ich nicht, bin ich eben nur „sehr reif“ für das jugendliche Alter, wie mir neuerdings in vielen Briefen aus der Heimat gesagt wird.

Ich ahne den Tod nicht. Ich bin nicht reifer, als alle Menschen in meinem Alter sein können.

San Biagio, 4. Oktober 1944

Gestern abend las ich im „Faust“ die erste Scene. Da wollte ich über Christus nachdenken. Aber ich kann ihn nicht fassen, – konnte ihn nie fassen, so oft ich über ihn nachzudenken versuchte.

Ist er groß? Aber das wirklich Große ist doch meistens auch das Allgemeinverständliche (im besten Sinn). Ich kann immer die Idee vom „Gott in uns“ mit der Christusgestalt vereinen. Ich will im Göttlichen das den Menschen Beherrschende sehen, zu dem wir uns entwickeln sollen, – wollen. Wenn das aber eine Gestalt außer uns sein kann…  Vielleicht bin ich noch zu jung – prometheisch -, um den Christusgeist zu brauchen.

San Biagio, 7. Oktober 1944

Es leben Dinge, die aller Not entbehren. Mit einem Autoschlüssel habe ich ein verkommenes, altes Klavier gestimmt und ihm meine Melodien entlockt. Es ist kein Bechstein geworden, aber es war Mozart und Schubert. Es sind Geistigkeiten.

San Biagio, 9. Oktober 1944

Ich musste an das Wunder denken. Ich bin zwar in der biblischen Geschichte vollkommen unbewandert. Ich dachte an die Stelle, wo das auserwählte Volk durch das rote Meer schreitet.

Das ist das Kriterium des Wunders und des Glaubens: das Vorbehaltlose. Das Meereswasser teilte sich und ließ eine Furt, weil das Volk vorbehaltlos glaubte. Der erste, der hindurchschritt, durfte nicht probieren, ob das Wasser wirklich weichen würde, er hatte auch keine Furcht vor dem Ertrinken, ja keine Gedanken daran.

Wir dürfen nicht glauben, weil wir Bonbons oder Prügel – in irgendeiner Form – erwarten, sondern vorbehaltlos und uneigennützig glauben, ohne „weil“, – das führt zu Gott.

San Biagio, 15. Oktober 1944

Wenn man so im Grase liegt (weniger wegen des Ruhens, als wegen der Deckung), dann werden Gräser und Würmer, Pflanzen und Insekten so nah. Neulich dachte ich beim Betrachten der kleinen Welt, dass doch so eine Biene, die von Blüte zu Blüte summt, viel glücklicher ist, als etwa ein als Soldat verkleideter Mensch. Aber weiterdenkend fand ich, dass es doch schöner ist, gerade jetzt nicht ein unbeteiligtes Naturwesen zu sein, sondern ein miterlebender Mensch. Ja, es ist eine Lust, jetzt Mensch zu sein, entgegen der furchtbaren und erschütternden Behauptung eines Kameraden: „Ich wünschte, ich wäre im Polenfeldzug gefallen.“

Diesen erbitterten, bloßlegenden Kampf um die Daseinsberechtigung des menschlichen Geistes und Geschlechts, – an diesem Kampf teilhaben zu können, das ist eine Gnade.

San Biagio, 23. Oktober 1944

Auf der ganzen Erde herrscht das Grauen, Waffen und Hunger führen die lauteste Sprache; nur wenige Menschen vermögen noch ein halbwegs zivilisiertes Leben zu führen. Die neuen Waffen werden auch diese Menschen das Grauen lehren.

Dann muss zwangsläufig die entscheidende Stunde der Menschheit kommen: das Verenden im Materialismus oder die Vollendung im Geistigen!

San Biagio, 2. November 1944

Ich lebe ein Doppelleben. Allerdings kein kriminell verdächtiges, sondern ein – modernes.

Das eine Leben ist ausgefüllt mit Meldungen, Ärger, Streitigkeiten, Befehlen, derben Späßen und Nichtigkeiten, Nichtigkeiten… Es ist eine Art Traumleben, dieses Soldatendasein, so komisch es klingt. Was wir treiben, ist eigentlich ein Kinderspiel. – Weil wir aber Erwachsene sind, wird es zu diesem grauenhaften Kriegsgeschehen. Die Natur lässt nicht mit sich handeln: wer die Jugend hinter sich hat, muss erwachsen werden. Ich weiß, es gibt noch gewichtigere und tiefere Hintergründe für das Massensterben als nur die Infantilität von Generälen. 

Das andere Leben ist wirklich. Es bewegt sich gleichsam auf einer höheren, der lebenswerten Ebene. Ich lebe es in stillen Stunden, beim Zeichnen, Schreiben, wenn ich mich mit den Geistigkeiten befasse. Es berührt sich mit dem anderen Leben an keinem Punkt und das macht mein Doppelleben so interessant.

San Biagio, 8. November 1944

Manchmal wird das Leben furchtbar einfach. Da passen alle Menschen und Vorgänge in irgend ein aufgestelltes Schema. Vielleicht ist es gar nicht unrichtig, wenn man die Menschen in Gefühls- und Kopfmenschen einteilt; man könnte sie auch nach Briefmarkensammlern und Nichtbriefmarkensammlern unterscheiden. Interessant und wiederum vollkommen undurchdringlich wird das Leben durch die Überschneidungen: sowohl unter den Kopf-, als auch unter den Gefühlsmenschen finden sich Sammler und Nichtsammler.

Und manchmal findet man doch ganz einfache Worte, die sehr viel auszudrücken vermögen. Sie stellen keineswegs die Lösung irgendwelcher Probleme dar, aber sie können als Richtschnur dienen. 

So fand ich für mein Leben zwei Worte: Arbeit und Liebe. Liegt da nicht alles drin, was man zu erreichen vermag und auch alles, was Welt und Leben zu bieten vermögen? Ich glaube, alles, was sich mit diesen Worten nicht vereinigen lässt, hat keinen Wert.

Da liegt eine schöne Klarheit in diesen Worten, mit ihnen kann man eine schönere Zukunft bauen, die frei ist von Unechtem und Unwesentlichem. Sie beschließen die Schönheit Gottes und der Welt in sich.

San Biagio, 12. November 1944

Es ist ein Gewitter. Das ist hier, wo die warmen Lüfte des Meeres und die bereits kalten des Gebirges so direkt aufeinanderstoßen, nichts Seltenes.

Die eine Seite des Himmels ist undurchdringlich grau. Da regnet es. Auf der anderen Seite ist eine Sinfonie von Grau und Rosa. Zuweilen ist ein Stück Himmel tiefblau oder hellgelbblau und wolkenlos klar. Wie am Mittag eines Sommertages. Es ist schön wie eine Mozart-Melodie.

Von der Regenseite das Auge über die herbstfarbenen Hügel in diesen lichten Himmel schweifen lassen, – das ist wie ein Geschenk Gottes.

Man möchte knieen und beten…

Später.

Jetzt ist es fast dunkel geworden. Unter den düsteren Wolken ist ein feiner lichter Streifen, der untere Rand der Wolken golden. Irgendwo ist die Wolkendecke zerrissen. Von da wirft die Venus ihr Licht auf die Erde. Wie kam ich als kleines Kind zu der Angst vor diesem Stern?

Und ich bete nicht. Bin ich so hart und verschlossen geworden? Oder ist der Weg zu Gott so weit?

Wie erklärt sich das, dass man niederknien und beten möchte, und es nicht tut, nicht kann? Auch abends manchmal möchte ich die Hände falten und bringe die Finger nicht zusammen, finde nicht zu Gott.

Ich sehe Gottes Schönheit und kann davon nicht zu ihm sprechen.

Später.

Mondlos dunkel, klare Luft. Die Sterne schweigen – oder sprechen sie?

Man muss vielleicht nur schweigen vor Gottes Schönheit. Nicht denken, nicht  einmal fühlen,- Vielleicht findet man dann jenes Reich zwischen Nichts und All.

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Mein Testament.

Ich fühle mich in dieser Stunde, da ich aufschreibe, was die Umwelt nach meinem Tod über mich wissen mag, mit allen guten Geistern dieser Welt vereint.

Ich benutze dieses Schriftstück nicht, um mein Vermögen zu vermachen – ich habe nichts -, sondern um meine Gedanken über Leben und Tod aufzuzeichnen, um – so weit es möglich ist – Klarheit zu bekommen über die letzten Dinge. Ich schreibe nicht in der Ahnung des nahen Todes. Ich weiß nicht, wann ich sterben werde. Ich möchte noch lange leben. 

So ist dieses Testament eigentlich ein Bekenntnis, eine Rechenschaft über mein Dasein, mein Denken. Ich bin sterblich, unsterblich bleibt mein Ich, mein geistiges Streben, das ich mit allen Menschen gemeinsam habe. Das Leben und die Erde haben mir unendlich viel geschenkt, ich liebe Leben und Erde. Ich weiß um einen Gott… Ich liebe das Ewige in Mozarts Melodien, in Goethes Worten, ich bete es an in im Wesen einer geliebten Frau. Ich danke Eltern und Lehrern für die Worte und Gesten, mit denen sie mich beschützt und geleitet haben. Ich habe von Eros‘ weitem Glück und seiner lähmenden Tragik erfahren. Ich baue auf ein Lebenswerk und die fruchtbare Arbeit daran war oft der befriedigende Trost in matten Stunden.

In den stillen Stunden, die mir der Krieg ließ, habe ich erkannt, dass die letzten (man mag auch sagen: die ersten) Dinge von einer beglückenden, göttlichen Einfachheit sind. Ich bin zu jung, um diese Behauptung stichhaltig unterbauen zu können. Es ist so: unendlich viele Stunden braucht man zu der Erkenntnis, dass wir nicht zu wenig, sondern viel zu viel wissen. Nicht in einer Sandwüste müssen wir die Oasen des Geistes suchen, sondern in einem Häusermeer die einzige Wohnung, die den Geist beherbergt.

Es geht im menschlichen Leben und im Leben der Welt um die Erkenntnis und die Anerkennung der Allmacht des Geistes. Der Geist ist das Regierende, das Unsterbliche, alle Natur und alles Menschliche in sich Beschließende. Diese Erkenntnis führt zu der Ruhe, die ein Religionsstifter empfinden mag, zu der Ruhe eines ländlichen Kindes oder etwa eines Baumes in seiner Sommermajestät.

Alle wirklichen Probleme werden durch diese Erkenntnis zu einer – im wörtlichen Sinne – unaussprechlich einfachen Lösung geführt. Der suchende, durch Wissenschaft und Materie gleichsam belastete Mensch mag es überheblich finden oder diese Lösung als primitiv oder verträumt oder auswegartig oder zu persönlich ablehnen, – solange er nicht zu der gleichen Erkenntnis kommt.

Der Weg zum Geist ist ein Kampf. Ein Kampf mit den irdischen Mächten etwa des Triebes und des Intellektes um den göttlichen Geist. Ein Kampf, den ich weder begonnen noch etwa beendet habe; den niemand beenden kann, es sei denn die geeinte Menschheit. Die geeinte Menschheit.

© Peter Podehl

Was Peter danach schrieb