Kommen und Gehen – Bild 5

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Bühnenbild von Rolf Christiansen

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Kommen und Gehen – Fünftes Bild

Dachluke

SIE (hat einen Brief und Wäscheklammern in der Hand. Nach hinten:)

Haben Sie vielen Dank, Frau Säbel. (Öffnet den Brief.) Peter hat mir geschrieben. Hört ihr? Alle, die es interessiert: Mein Peter hat geschrieben. Ich habe wieder Herzklopfen. Wollen Sie hören, was er schreibt? Ja? Ihnen würde ich es vorlesen. Sie sind ja mit den intimsten Dingen unserer Ehe bekannt geworden. (Liest:)

„Mein liebes Geschöpf! (Kuss)

Vielleicht erhältst du diesen Brief gerade an dem Tag, an dem dein dich liebender Gemahl seinen Geburtstag hat. Er ist nur kurz – der Brief, nicht der Gemahl -, weil ich wenig Zeit habe. Weißt du, was wunderschön ist?

„Kein schöner Blick auf dieser Welt, als durch die Zweige eines grün belaubten Baumes das Blau des Himmels zu erschauen. Und wenn ein Vogel ein Lied dazu erschallen lässt, und etwa eine Rose ihren Duft ganz ohne Zweck verströmt, dann fühlst du dich so eins mit allen Dingen. ..

„Glaubst du nicht, dass ich vielleicht doch ein Dichter werden könnte?

Ja, ja!

„Nun geht das Leben, beziehungsweise diese idiotische Beschäftigung hier weiter und ich muss schon schließen. Kein schöner Ding auf dieser Welt als deiner Hände Druck. Ich küsse sie und dich und alles, was lieb an dir ist und bleibe dein Peter.

(Ruft auf die Straße:) Hallo Sie? Mein Mann hat geschrieben. Den interessiert das gar nicht.

Manchmal habe ich ein bisschen Angst vor diesem Monolog in der Dachluke. Ich finde es sehr nett, dass er in der Rolle drin ist, aber … Mich würde es interessieren, ob die Frauen im Publikum nicht finden, dass in diesem Stück so manches übergangen worden ist, was so wichtig wäre. Fehlt uns Frauen nicht manchmal etwas? Nein? Nun, vielleicht sind es auch die Dinge, die man eben nicht aussprechen oder darstellen kann. Manches wiederum, finde ich, ist so sehr deutlich in diesem Stück, so Verschwebendes, nur Spürbares, das man vielleicht gar nicht beim Namen nennen sollte. Na, es ist eben von einem Mann und der sagt alles auf seine Art. Ob er zum Beispiel ahnen konnte, wie sehr schwer es für mich war, dass ich an diesem Geburtstag Peter nicht gratulieren konnte? Jedenfalls nicht persönlich! So durch den Himmel tue ich es ja.

Alles Gute, mein Peter. Auf ein Wiedersehen und Kriegsende und all das… Ich glaube, der Himmel da, der blaue, wird dir diese Wünsche so recht ins Herz hineinleuchten. Und ich habe große Wäsche an deinem Geburtstag. Was bei einer zur Zeit allein lebenden und gehenden und – schlafenden Frau eben so große Wäsche heißt. Babywäsche ist nicht dabei. Aber ein Hemd aus deinem letzten Urlaub. Und beim Aufhängen, da kam Nachbarin Säbel und brachte deinen Brief, und da musste ich gleich ans Fenster rennen. Das habe ich von meiner Mutter. Die hielt auch immer Monologe am Fenster bei freudigen Überraschungen. „Klingende Stunden“ nannte meine Mutter diese Augenblicke, wo sie glücklich war. Sie hatte es schwer im Leben – wohl auch beim Sterben. Aber mir hat sie immer von klingenden Stunden erzählt. Kennen Sie diese unendlich beglückenden Momente, wo jede Fingerbewegung, jeder Laut, alle Sterne und – einfach eben alles wie aufeinander abgestimmt ist, als könnte es nicht anders sein? Man stolpert nicht, man umgeht die Menschen im Gewühl in harmonischen Bögen. Ja, selbst Straßenbahn und Verkehrsampel reagieren so, dass man weder rennen noch warten muss.

Jetzt habe ich mich bei den klingenden Stunden verplaudert und darüber meine Wäsche ganz vergessen. Viel ist geschehen seit dem vorigen Bild, viel wird geschehen bis zum nächsten Bild, das im letzten Urlaub meines Mannes spielen wird. Viel? Viel – und letzten Endes doch immer wieder nur das ewige Kommen und Gehen, dauerndes Sterben und Feldpostbriefe und große Wäsche und Bomben und immer wieder die tägliche Ausflucht: „Wenn erst der Krieg aus ist…“ Aber dieser Alltag der Kriegsjahre ist ja kein Geheimnis, und unser Spiel sieht seine Aufgabe auch nicht darin, Ihnen diesen Kriegsalltag als Neuigkeit oder Geheimnis auf der Bühne zu zeigen.

Über die Aufgabe des Spiels zu sprechen ist vielleicht verfrüht oder überhaupt fehl am Platze. Wir, das Liebespaar wollen weiter wandern durch diese Welt, diese Zeit… Kommen und Gehen …

Nach dem nächsten Bild ist dann Pause.

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Bild 6

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Bild 9

Bild 10

Zu Kommen und Gehen

Claudia zur hiesigen Veröffentlichung

Presseschau und Zuschauerbriefe von damals

Autobiografischer Monolog von 1947 – Das Stück “Kommen und Gehen” berichtet

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