Kommen und Gehen – Bild 3

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Bühnenbild von Rolf Christiansen

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Kommen und Gehen – Drittes Bild                                               

Waggonfenster.
(Zug- und Eisenbahngeräusche ad libitum.)

ER (steht in einer neutralen Uniform am Fenster und spricht mit einem unsichtbarbleibenden Kameraden.)
Ach, du meinst, weil es ein Damenring ist? Ja, damals, als wir… Als wir uns verlobten, da habe ich ihr den Verlobungsring meiner Großmutter geschenkt. Und am Morgen, als ich einrückte, da gab sie mir diesen hier. Sie war so glücklich… Ich auch, ja. Ich habe lange überlegt, ob ich sie heiraten soll. Heute glaube ich fest, dass sie die Richtige ist.

Ich kann den Sternenhimmel nicht mehr sehen. Das war früher so was Ewiges, Schönes. In den zahllosen Nächten auf Posten ist man ihm aber so gefährlich nahe gekommen; er hat so nichts tröstliches mehr. Kalt… wie die Nächte und das ganze Leben. Sogar das Tageslicht scheint manchmal so kalt geworden zu sein. Das geht auf’s Hirn. Kennst du diese grellen Momente, wo dir klar wird, dass du mordest und gemordet werden kannst? Die sind furchtbar.

Du bist ziemlich müde, was? Naja, wenn ich eine Dienstreise in eine fremde Stadt machen würde, dann wäre ich wohl auch schon eingeschlafen. Aber so… Ich habe furchtbar lange keine Post mehr bekommen. Da kann ich fast wahnsinnig werden. Ob sie nicht schreibt, weil ein anderer…? In einer normalen Ehe würde sie wohl Mann genug an mir haben, aber … ich glaube, heutzutage ist an einem Ehebruch viel mehr der verfluchte Krieg und viel weniger die vereinsamte Frau schuld. Was machen denn wir? Reden wir nicht davon,   w i e   wirs machen? Aber ein normales Leben führen wir doch in dieser Beziehung auf keinen Fall -, und das Triebleben ist was ganz Natürliches. Na, wenn alles gut geht, dann halte ich sie morgen in meinen Armen und darf – darf! mit Generals Gnaden – sie küssen. Und dann werde ich wohl auch sehen und spüren, ob sie mir treu gewesen ist. Es gibt ja wohl so gewissen Anzeichen dafür. Weißt du, früher glaubte ich, Herz und Religion und so was, das sei nur für Frauen da – jetzt glaube ich, dass es auch uns Herren der Schöpfung etwas angehen sollte. Du? Jetzt schläft der ganze Urlauberzug.

(Zum Publikum:)

Nun kann ich mich nur noch mit Ihnen unterhalten. Tja, so gondelten wir durch Europa. Von der Front, zur Front, nach Hause, in die Fremde, in jede Himmelsrichtung. Freunde und Feinde, oder Feinde und Freunde, das war so egal. Es wechselte auch so oft; manchmal kannte man sich gar nicht mehr aus. Gleich blieb sich nur die Tatsache, dass Millionen Europäer das taten, was weder Beruf noch Neigung war, und den wenigsten machte es Vergnügen. Wir opferten und litten, und wussten nicht ganz genau wofür. Es fehlte zwar nicht an Versuchen, uns zu erklären, wofür wir sterben und töten sollten, aber das blieben Versuche. Manchmal tröstete man sich und hoffte, dass der Krieg die Menschen bessern und läutern würde, und dass Völker sich einigen würden. Man wartete auf den Frieden. Da sollte es sich zeigen. Hat es sich gezeigt? Sie, die Sie sich dieses Kriegsstück ansehen lange nachdem der Krieg vorüber ist, müssten diese Frage eigentlich beantworten können. Nun? Vielleicht berührt Sie diese Frage auch peinlich. Sie ist außerdem etwas verfrüht.

Es ist etwa 1941 und ich fahre auf Urlaub zu meiner Frau, wie schon einmal. Wie oft in Zukunft noch? Von Frieden ist noch keine Spur am Horizont. Er wird wohl auch nicht plötzlich kommen. Ganz allmählich wird man wohl genug bekommen vom Krieg, und eines Tages wird der Frieden da sein, lange vorbereitet in den Menschen. Ja, vielleicht ist er noch nicht einmal dann da, wenn der letzte Schuss gefallen ist. Der Krieg brauchte ja auch lange Vorbereitung und brach eigentlich viel früher aus, als am 1. September 1939.

Folgen Sie uns weiter in unserem Spiel, schauen Sie, wie zwei Herzen sich durch diesen Krieg hindurch schlagen. Waffen und Waffenproduktion ließen den Krieg kommen, Mensch und Menschenherzen müssen für den Frieden sorgen. Viel interessanter als die Wehrmachtsberichte aller Krieg führenden Länder zusammen werden die Schicksale mancher Menschen sein, – den ganzen Krieg hindurch.

Das nächste Bild spielt in irgend einem Urlaub in den nächsten Jahren.

(Der Zug ruckt.)

ER
Hoppla, jetzt bist du aufgewacht, was? Ha, du hast geschlafen, im Stehen und geschnarcht, und wie! (Schaut hinaus). Was, Fliegeralarm? Verfluchte Scheiße, auch das noch.

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Zu Kommen und Gehen

Claudia zur hiesigen Veröffentlichung

Presseschau und Zuschauerbriefe von damals

Autobiografischer Monolog von 1947 – Das Stück “Kommen und Gehen” berichtet

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