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König gefangen
Komödie
von
Peter Podehl
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Dritter Akt
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DRITTER AKT
Ein Novembernachmittag 1268. Neunzehn Jahre sind vergangen. Der Schepper-Vorhang ist unten. Der Saal ist sehr viel wohnlicher geworden, ja, partienweise wirkt er geradezu verwohnt. Viel Zeug liegt und steht unordentlich herum: Weinkannen, benutztes Geschirr (aber es gibt noch keine Gabeln), eine Schale mit Trauben und Äpfeln, Trinkbecher, Papiere und Noten und Schreibwerkzeuge und Musikinstrumente, Stundengläser, Kissen, Spiegel, ein Notenpult, Textilien als verschiedene Draperien, Unnötiges, Luxus, Reichtum, auch zwei Damenmäntel. Im Fenster sind frühe Glasscheiben. Einige Wandflächen sind bemalt: mittelalterliche Graffiti, auch fragmentarisch, improvisiert wirkend.
SERVINEILA liegt auf der Bank hinter dem Tisch und ist nicht gleich zu erkennen. Sie ist neureich prächtig gekleidet, trägt ein stets verrutschendes Gebände. Eine altersschwache Greisin mit unverwüstlichem Mundwerk.
PIETRO ist Ende Vierzig und macht sehr gute Figur, ein eleganter Schattenkanzler. Er lehnt irgendwo in nachdenklicher Erwartungshaltung.
Ein Totenglöckchen läutet recht jämmerlich.
SERVINELLA schreckt sehr überraschend hoch:
Ich bin nicht tot!
PIETRO ist zum Fenster gegangen, öffnet es, schaut in eine bestimmte Richtung:
Das gilt nicht dir, Servinella.
SERVINELLA beharrt:
Was läuten sie mein Totenglöckchen?
PIETRO, immer mit dem Blick auf die Piazza:
Nur wenn ehrenwerte Reiche sterben, wird ein Aufhebens davon gemacht.
SERVINELLA richtet kokett ihr Gebände:
Was denn? Bin ich etwa nicht reich?
PIETRO:
Als Kupplerin zu Geld gekommen, – das gilt nichts.
Jetzt ruft er aus dem Fenster
Messere Lambertino di Guida dei Lambertini?
SERVINELLA, nach kleiner Pause:
Was hat er gesagt?
PIETRO:
Er hat genickt.
SERVINELLA, zufrieden:
Dann ist er tot – nicht ich. Gut zu wissen, dass ich noch Atem habe, wenn er auch stinkt.
PIETRO ist sehr froh:
Dem himmlischen Vater sei Dank für den Tod des Oberwächters. Nun wird sich alles wenden.
SERVlNELLA:
Ja, – zur Hölle! Der Lambertino war ein Tyrann, aber es war ein Auskommen mit ihm. Er hat uns jede Menge Kissen erlaubt. Mit dem MicheIe –
PIETRO weiß mehr:
Wer sagt dir, dass Messere degli Orsi Oberwächter wird?
SERVlNELLA:
Wer sonst? Du?
PIETRO:
Nein, ich habe anderes zu tun. Messere Albingo di Ebubo wird Oberwächter.
SERVINELLA, reichlich erstaunt:
Der kleine Ähä doch nicht!…
ENZIO singt bei zunächst noch geschlossenem Schepper-Vorhang seine Canzonetta, begleitet von ein paar Lautenschlägen:
Canzonetta, flieg aus, den Herrn zu grünen,
Sag ihm, mir fehl der Sonne Licht;
Meine Zwingherren ließen arg mich büßen,
Und es rührt mein Lied sie nicht…
Grüße die Toscana mir, die Königin,
Die noch Rittersitte ehrt.
Zur Capitanata flieg und Puglia hin,
Die mein Herz Tag und Nacht entbehrt.
PIETRO hat zu Beginn der Canzonetta befriedigend festgestellt:
Wenn er zu singen anfängt, hat er nichts mehr zu küssen.
Dann ist der Schepper-Vorhang aufgegangen und hat einen üppig schwellenden, winzigen, allerliebsten Harem offenbart: Geschickt postierte Öllampen bescheinen bunte Kissenberge, Seidendecken, Damast, Brokat, Tapisserien, Pfühle, Bilderteppiche an den Wänden, einen schönen Sessel. Damenoberbekleidung liegt verstreut.
ENZIO geht nun auf die Fünfzig zu. Er ist ein wenig dicker und behäbiger geworden. Die Rolle des Königs und Eroberers steht ihm immer noch gut, aber fast zwanzig Jahre Ohnmacht haben den Charme der Melancholie wachsen lassen. Er hat die Laute in Händen, begleitet aber seine Canzonetta nicht kontinuierlich, weil
KATERINA DA GALUZZI, eine bürgerliche appetitliche Matrone im dezenten Unterhemd ihn anzieht, was ihr mehr noch als ihm après-sinnliches Vergnügen macht.
ENZIOS Gegenzärtlichkeiten halten sich in Grenzen; er singt und klimpert, als ginge ihn die ganze Liebelei nicht mehr viel an … Gegen Ende der Canzonetta kitzelt KATERINA ihn.
ENZIO muss zwar auflachen, beendet aber unwillig den Gesang:
Ich hasse die Kitzelei, – Du weißt es!
Er geht raus, unwirsch:
So kann ich nicht dichten!…
PIETRO, ernst, sehr gefasst:
Endlich, Majestät.
Er ist angefüllt von bewegender Neuigkeit:
Noch nie habe ich Euch mit größerem Recht und größerer Hoffnung Majestät tituliert.
ENZIO ist nicht sehr interessiert
Wieso das?
PIETRO, geheimnisträchtig:
Das Totenglöckchen dringt wohl nicht in Eure Kammer?
ENZIO reißt einen Macho-Witz:
Was Totenglöckchen!, da drinnen läutet eine anderer Schwengel!
Er klimpert verdrießlich auf seiner Laute herum:
Aber die Frauen hindern meine poetische Lust, – diese Canzonetta ist viele Jahre alt – sie würgen den Dichter…
Beinahe schelmisch:
Du hörst mich gern die Frauen lästern, was?
PIETRO reagiert mit süffisantem Lächeln und Schulterzucken.
ENZIO erinnert sich, fast ärgerlich:
Diese Bianca da Galuzzi – so töricht – wie alle Jungfrauen…
Es schüttelt ihn geradezu ein wenig.
PIETRO, etwas verwundert:
Bianca? Ich denke, die Mutter ist da drin? Katerina da Galuzzi?
ENZIO, auch eher trocken als begeistert:
Beide.
BlANCA, eine blutjunge Lieblichkeit, taucht erst jetzt völlig überraschend aus den Kissen auf:
Mama?
KATERINA, die beim Anziehen ist:
Ja, Kind?
BIANCA, schon ein klein wenig töricht:
Kann ich nun nie mehr eine Jungfrau sein?
KATERINA legt ihr die Hand auf den Mund:
Pst! Beschwör kein Verderben! Dein Verlobter würde dich würgen! Natürlich kannst du. Wir sprechen noch darüber.
ENZIO schaut aus dem Fenster, isst einen Apfel:
Schön, diese neumodischen Glasfenster…
Da steckt seine Sehnsucht, das Neumodische der Fenster in der Diktion betonend:
Aber warum sehe ich – durch sie hindurch – nicht Lucia da Viadagola zu mir kommen? Seit langem schon bleibt sie fern…
PIETRO:
Du hast doch genug andere.
ENZIO, genau das ist es:
Ja, andere – genug…
PIETRO verkündet Bedeutsames:
Das Totenglöckchen hat geläutet.
ENZIO erfasst die Bedeutungsschwere nicht:
Das Totenglöckchen? Wer?
Er wollte Wein einschenken, aber alle Krüge sind leer:
Wieso ist immer noch kein Wein in den Krügen? Ich verdurste!
Er haut den Krug so wütend auf die Tischkante, dass er zu Bruch geht.
PIETRO, dauernd geheimnisträchtig:
Ein Küfer wird kommen und ein neues Fass bringen. Wenn er das leere wegträgt, wird es nicht leer sein…
Er schaut ENZIO durchdringend an.
ENZIO lacht zunächst über den albernen Scherz:
Das leere, das nicht leer sein –
Er stutzt plötzlich:
Du starrst mich an, weil –
Er versteht die Zusammenhänge:
Oh, – Pietro! Das Totenglöckchen – Lambertino – läutet meine Freiheit ein!?
Er reißt das Fenster auf:
Volk von Bologna!…
PIETRO schließt das Fenster erschrocken wieder:
Macht nicht all unsere Pläne zunichte!
ENZIO, ganz schön euphorisch zappelig:
Wir reiten gleich zum Papst, ja?
PIETRO, etwas genervt:
Ich habe dir vor Monaten gesagt, dass Seine Heiligkeit, Papst Clemens gestorben ist. Aber du hörst ja nicht zu, weil du immer nur deine Frauen im Kopf hast.
ENZIO wehrt lächelnd ab:
Doch nicht im Kopf!… Und der neue Papst?
PIETRO:
Habe ich dir auch gesagt: In Viterbo sitzen die Kardinäle und brüten einen neuen Papst aus. Sie lassen sich Zeit.
ENZIO hat gleich den nächsten Einfall:
So reiten wir nach Viterbo!
PIETRO, beschwörend:
Freund, Enzio, Majestät!: – wir tun den zweiten Schritt nicht vor dem ersten!
ENZIO, leichthin herrscherisch:
Die Politik der Freiheit nach Plan des Schattenkanzlers Pietro Arsinelli, – es sei, es sei – Lambertino starb gelegen: Das Heilige Römische Reich deutscher Nation seit fast zwanzig Jahren ohne rechtmäßigen Kaiser, die Kirche ohne Oberhaupt, – alles wartet auf mein Erscheinen…
PIETRO, verschwörerisch:
So höre, was –
SERVINELLA stört ihn:
He, Servinella, verlasse den Saal!
ENZIO:
Sie kann doch nicht mehr gehen!
PIETRO, leise verschwörerisch, möglichst von SERVINELLA abgewandt:
Die Totenglocke des Lambertino hat die treuesten Ghibellinen Bolognas alarmiert. Unter der Brücke von San Ambrogio sammeln sich mit Anbruch der Nacht zehn Ritter und 92 Fußgänger, alle wohlgepanzert und gewaffnet.
ENZIO will den Anfängen wehren:
Aber ich will keine Waffen mehr! Friedensschalmeien sollen der Welt künden, dass ich -…
Er weiß nicht recht weiter:
… also … Schau mich nicht so blöde an!
PIETRO, sanft belehrend:
Nicht mehr schwärmen, Majestät! Nur auf den Spitzen der Lanzen kannst du den Frieden in diese unheile Welt tragen. Wo vermutet die Majestät die Krone des Königs von Sardinien?
ENZIO, recht skeptisch:
Meine Krone? Verrottet irgendwo in den sardischen Residenzen zwischen Torre und Gallura – oder eingeschmolzen…
PIETRO kann fein triumphieren:
Es ist eine Fügung Gottes, dass sie gestern nacht mit geheimer Gesandtschaft in San Ambrogio eintraf…
ENZIO, ernsthaft ergriffen, animiert:
Lass sie mich aufprobieren!…
PIETRO:
Wir haben sie nicht in die Mauern der Stadt geschmuggelt. Heute abend an der Brücke. Dort wartet auch eine weiße Stute, gesattelt und gezäumt.
ENZIO ist das alles auch etwas unheimlich:
Wie, wenn ich nicht mehr reiten könnte, – nach neunzehn Jahren?!
PIETRO wiegelt ab:
Das verlernt sich nicht. Auch zwei oder drei Dirnen sind zur Brücke beordert.
ENZIO reißt eine Zote, die aber einige Melancholie ausstellt:
Und wie, wenn ich nicht mehr reiten – wollte?
PIETRO bagatellisiert das lachend:
Das glaubt dir keiner!
Beim Kern der Verschwörung:
Höre, was du wissen musst, bevor das consiglio nach unserem geheimen Plan Messere Albingo di Ebubo zum Oberwächter ernennt.
ENZIO hat da ein wenig Zweifel:
Dürfen wir da ganz sicher sein?
PIETRO:
Absolut. Lucia da Viadagola hat jeden Ratsherren einzeln ins Gebet genommen.
ENZIO, voller Liebe:
Wenn sie das getan hat, dann waren sie Wachs in ihren Händen und wählen gewiss den kleinen Ähä. Aber warum kommt sie nicht mehr zu mir?
PIETRO, etwas gequält:
Ich weiß es doch nicht! Wahrscheinlich hast du sie verletzt.
ENZIO versteht nicht recht:
Verletzt? Wieso? Nicht mehr als früher…
PIETRO muss zur Sache kommen:
Darf ich der Majestät nun die Strategie des heutigen Tages vermelden?
ENZIO sieht ein, welche Rolle er zu spielen hat:
Jaja, ich bin ganz Kaiserohr. Rede, Kanzler.
PIETRO:
Kurz vor Sonnenuntergang, bevor MicheIe degli Orsi die Nachtwache übernimmt, bringt der Küfer ein leeres Weinfass – er tut natürlich so, als sei es voll! -, bringt es hier in den Saal, die Majestät schlüpft rein und wird zur Brücke San Ambrogio gekarrt.
ENZIO, mit kleiner Skepsis seinen Bauch abtastend:
Ich wiege einige Pfunde.
PIETRO, etwas schulmeisterisch:
Ich habe dich immer gemahnt, nicht so viel zu prassen!
ENZIO scheint der Plan reichlich suspekt:
Aber – wenn der Küfer mich fallen lässt und ich poltere im Fass die Treppe runter – nein!
PIETRO, verliebt:
Der Küfer ist ein Bär an Kraft, so groß und – Er wird als Held in die Geschichte eingehn!…
ENZIO:
Dein Liebster?
PIETRO, verstohlen:
Und wenn. Das macht ihn treu und verschwiegen.
ENZIO hat gewichtigen Einwand:
MicheIe degli Orsi wird sofort den Gefangenen vermissen.
PIETRO hat das bedacht:
Deshalb muss Lucia da Viadagola in der Kammer Liebe spielen – akustisch.
ENZIO freut sich erstmal:
Dann wird sie endlich wieder hierherkommen?
PIETRO:
Ja, genau, wenn du weggetragen wirst.
ENZIO findet die Umstände befremdlich:
Aber wie soll sie allein in der Kammer Liebe spielen? Sie kann nicht heucheln.
PIETRO:
Natürlich allein. Das ist der Witz.
ENZIO:
Es ist nicht komisch. Weiß sie Bescheid?
PIETRO:
Noch nicht. Ich habe den Kreis der Verschworenen ganz klein gehalten. Deshalb ist mir Servinellas Anwesenheit
Er schaut nach ihr:
Sie schläft, Gottlob!
SERVINEILA taucht auf:
Ich bin hellwach und habe alles gehört. Die Krone der Majestät in San Ambrogio…
PIETRO, sehr besorgt, leise zu ENZIO, nicht böse, ganz Politiker:
Befehlen Majestät ihren Tod?
ENZIO, hart getroffen, grundsätzlich ernst:
Pietro!, wann begreifst du endlich, dass ich ein andrer Kaiser sein will!?
PIETRO versteht das nicht:
Sie ist schon fast tot. Es wäre nur ein wenig nachzuhelfen. Wenn sie schwätzt, ist alles verloren!
ENZIO bleibt leise, aber sehr bestimmt:
Ich befehle dem Kanzler: Arsinelli: – deine Klugheit darf denken – nie mehr! nie, mehr Mord!
PIETRO, besorgt, beinah für sich:
Mord? Sollte die Majestät verlernt haben zu herrschen?
Schließ-und Riegelgeräusche.
ALBINGO, dicker, aber nicht ernster, stürmt rein:
Ich bin der neue Oberwächter! Ähä! Wer hätte das gedacht?!
PIETRO, anzüglich, aber unaufdringlich:
Wir – haben das gedacht.
ALBINGO begreift nicht:
Was? Wieso das?
MICHELE kommt rein, weidlich verbiestert, eine Urkunde in der Hand:
Die Zeremonie! Commandante!
DER SOLDAT, in Ehren ergraut, kommt mit gezogenem Schwert herein, nimmt an der Tür Aufstellung wie im I. Akt.
ALBINGO nimmt alles leicht, zu MICHELE:
Ich habs ihnen schon gesagt.
Zu ENZIO:
Wollt Ihr dennoch die Zeremonie, Hoheit?
PIETRO, diplomatisch:
Wäre es nicht besser – der res publica zuliebe?
ALBINGO arrangiert:
Also gut: Commandante – Ihr steht schon richtig da. Messeri: ich immer ein Schrittchen vor Euch, – Ihr immer ein Schrittchen ..
BIANCA, fertig angezogen, stürzt aufschreiend aus der Kammer in die hinterste Ecke des Saales:
Eine Spinne!…
KATERINA, ebenfalls fast fertig angezogen, stürzt ihr nach:
Aber Kind, so beruhige dich doch!
MICHELES Grimm wächst:
Jetzt reichts aber! Raus mit den Frauen!
BIANCA schreit geängstigt:
Spinnen sind Boten des Todes!…
ENZIO geht zu ihr, sehr nett:
Aber nein, törichte Bianca! Ich liebe Spinnen!… Ich rede mit ihnen, stundenlang – seitdem es mir nicht mehr vergönnt ist, mit Pferden zu reden.
BIANCA umhalst ihn, nachweislich verliebt:
Wenn du das sagst, mein Enzio…
ENZIO:
Was ich hasse, sind Wanzen und Läuse!
SERVINELLA:
Aber warum Majestätchen? Wenn mein Gemahl – Gott hab ihn selig! – mich lauste, das war mir zum Verrecken lieb. Bloß, dass ich immer schwanger davon wurde.
DIE DAMEN und ENZIO lachen lauthals. DIE DREI WÄCHTER stehen blöde da.
MICHELEN wird’s zuviel, er zieht sein Schwert und donnert los:
Messere di Ebubo, wäre ich – wie es mir zustünde – Oberwächter geworden, den Stall dieses Hurenbockes würde ich mit eisernem Besen ausmisten!
ENZIO, sehr überlegen:
Aber das hohe consiglio hat nun einmal nicht Euch zum Oberwächter erkoren.
MICHELE platzt raus:
Weil es eine Versammlung seniler Arschlöcher ist! Mein legitimer Anspruch auf den Posten des Oberwächters …
ENZIO nimmt ihm die Urkunde aus der Hand, entrollt sie und hält sie ihm reichlich provozierend vor.
In MICHELE steigen Verdächte auf:
Wieso war eigentlich die Urkunde so schnell ausgefertigt?
ENZIO wittert Gefahr und gibt die Urkunde an ALBINGO:
Messere degli Orsi, was mischt Ihr Euch überhaupt ein? Euer Dienst beginnt zum Sonnenuntergang. Da will ich Euch wiedersehen.
Er kann sich nicht enthalten, leise hinzuzufügen:
Oder auch nicht…
MICHELE wird bei den Damen handgreiflich:
Oberwächter, helft mir, das Damenfleisch zu entfernen!
ENZIO mischt sich sehr souverän, lässig handgreiflich ein:
Moment, die Damen stehen unter meinem Schutz!
MICHELE, sehr drohend anmahnend:
O-ber-wäch-ter!, das ist unerträglich! Das Regiment des Gefangenen!
ENZIO zieht ALBINGO ein Stück in die Kammer und fragt vertraulich:
Wart Ihr nicht erstaunt, Euch als Oberwächter zu finden?
ALBINGO gibt freimütig zu:
Oh ja, gewiß, ähä… Um so weniger scheint Ihr erstaunt?!
ENZIO:
Aber meinem Einfluss verdankt Ihr doch Eure Ernennung! Deshalb befehle ich Euch, diesen degli Orsi zu entfernen.
ALBINGO macht dümmlich die Geste des Halsabschneiders:
Ganz?
ENZIO kann dadurch wunderbar überlegen bleiben:
Nein, – jetzt, weg von hier!
ALBINGO:
Ach so.
Er geht raus „stark“ geworden.
Kraft meines Amtes als Oberwächter: Messere degli Orsi, verlasst den Saal und kehrt nicht vor Sonnenuntergang zum Dienstbeginn zurück. Ich will es so!
MICHELE hat alles beobachtet, wenn auch nichts verstanden, und postuliert drohend:
Bei der Wahl des Oberwächters Albingo di Ebubo ist es nie und nimmer mit rechten Dingen zugegangen! Das war ein abgekartetes Spiel! Ich werde das untersuchen.
Er geht raus.
ENZIO, leise zu PIETRO:
Ist da Gefahr?
PIETRO, ebenso leise:
Keine akute. Die Mitglieder des consiglio sind längst in alle Winde zerstreut.
Er geht auch.
DER SOLDAT versorgt endlich sein Schwert und geht auch.
Schließ- und Riegelgeräusche.
Von der Piazza tönt ein schriller Kinderchor herauf: unverständlich bleibendes Latein zu mittelalterlichen Melodien.
ENZIO geht zum Fenster, öffnet es:
Da sind sie wieder, meine lieben Kleinen…
ALBINGO tritt dazu, zweifelnd:
Was denn? Wirklich alle die Euren?
ENZIO, in potentiam schwelgend:
Fast alle. Von hier oben, aus der Sicht des Falken, erkenne ich recht deutlich, welche die meinen sind.
KATERINA ist mit BIANCA zum Fenster gegangen, beide schmiegen sich geziemlich an ENZIO.
BIANCA:
Woran?
ENZIO:
Süße Bianca, an den blonden Haaren, die nachwachsen.
Etwas herrscherlich ungehalten wendet er sich an SERVINELLA:
Servinella, wie kannst du sie so rumlaufen lassen?
SERVIENLLA, eher schroff:
Was habe ich mit deinen Kindern zu schaffen, außer dass ich sie liebe?
ENZIO:
Du musst wieder Walnusssud brauen, dass sie die Haare färben können!
ALBINGO zählt leise, Finger albern benutzend:
Eins – zwei – drei – vier…
SERVINELLA:
Ich braue kein Walnusssud mehr. Mich tragen meine Füße nicht mehr von dieser Bank.
ENZlO:
Aber welche Verlegenheit für all die schönen Mütter, wenn sie nach dem Blondhaar ihrer Kinder gefragt werden?!…
BIANCA beobachtet unten:
Da raufen zwei Knaben.
ENZIO ruft runter:
He! Werdet ihr Frieden halten! Unter Brüdern!
BlANCA, etwas erstaunt:
Sie schauen herauf und raufen weiter!…
ENZIO, resigniert:
Wie denn auch nicht? Ich bin ihnen ein Fremder…
ALBINGO ist mit Zählen fertig:
Nicht zu glauben: – neunzehn, ich zählte neunzehn blonde Haarwirbel – aus den vornehmsten Häusern Bolognas.
ENZIO hat seinen Stolz:
Ja, Servinella hat dafür gesorgt, dass keine plebejischen Metzen über diesen Balken stolpern.
SERVlNELLA kichert erfolgsfroh:
Und so fein versteckt haben sie die Kaiserenkel aus dem Gefängnis geschmuggelt, – so fein versteckt – Stück für Stück…!
KATERINA:
Stolzer Vater!…
ENZIO schließt das Fenster, ärgerlich bitter:
Vater? Ich habe die Rolle des Vaters nie spielen dürfen…
KATERINA kommt unerwartet mit einer traurigen Nachricht:
Dass ich dich heute zum letzten Male sehe…
ENZIO wundert sich:
Was? Woher weißt – Wieso?
KATERINA:
Ich habe meinen Gemahl beschworen, dem armen Gefangenen die Gunst dieser Glasfenster zu gewähren.
ENZIO umarmt sie galant, Fensterglas einbeziehend:
Du also… Das habe ich nicht gewusst. Der arme Gefangene dankt… Aber wieso bist du zum letzten Mal bei mir?
KATERINA:
Ich musste ihm heilig versprechen, für die Gunst dieser Fenster der Sünde mit dir auf ewig zu entsagen. Heute schon brach ich mein Wort. Erfährt ers, wird er kommen und alles zerschlagen.
ENZIO, mit Humor:
Aber nicht auch mich?
KATERINA lacht:
Nein, alles Glas!
ENZIO umarmt sie heftig:
Ich liebe die Wortbrüchigen!…
KATERINA kommt durch den Balken ins schwanken, wehrt sich:
Wie umarmst du mich denn, dass ich nicht mehr stehen kann?!…
ENZIO, ganz routinierter Verführer:
Ich will dich liegen haben.
KATERINA reißt sich los:
Bianca, komm, wir müssen gehn!
ENZIO, ehrlich leidend:
Bleibt noch! Ich hasse diesen Saal, wenn die Frauen ihn verlassen haben.
BIANCA umhalst ENZIO:
So bleiben wir noch, Mama!…
KATERINA zieht sie weg:
Nein, wir sind des Todes, wenn dein Vater …
BIANCA:
Aber es war doch so himmlisch…!
ENZIO hat ALBINGO etwas zur Seite genommen:
Oberwächter, eine Gunst erbitte ich: – nachts, das Wasser lassen , – ich muss immer öfter. Es ist so beschwerlich – die Wachen…
ALBINGO geht zur Tür:
Ich sorge für ein Gefäß, Hoheit.
ENZIO fällt seine Flucht ein:
Das heißt: ich brauche es ja eigentlich gar nicht mehr….
ALBINGO, eifrig:
Aber Hoheit, wenn es Eure Gunst war, dass ich Oberwächter wurde, dann ist ein Nachtgeschirr wohl das geringste Zeichen meiner Dankbarkeit!
Er hat an der Tür geklopft.
Schließ- und Riegelgeräusche.
ALBINGO will gehen, wird aber fast umgerannt von
FRANCESCA, die hereinstürmt, in der Mönchskutte, unvermindert naiv, ja: für ihr Alter geradezu unstatthaft naiv, und wohl etwas fetter:
Endlich, mein geliebter Zauberer!
Sie reißt den verdutzten ENZIO in die Kammer, inständig bittend:
Sag, dass du mich entbehrt hast! Sags!
Sie wirft ihn auf das Lager, reißt sich die Kutte runter, stürzt sich im Hemd auf
ENZIO, der völlig überrumpelt ist:
Francesca dei Lambertini, – nach zwanzig Jahren…?
FRANCESCA:
Jajaja! … Ist es nicht wunderbar?: In der Morgenfrühe hat mich der Herrgott von meinem Ehejoche befreit!…
Sie bedeckt ihn mit Küssen, zerrt an seinen Kleidern:
Mein Zauberer!…
ALBINGO ist abgegangen, BIANCA hat sich versteckt, KATERINA schaut sehr verdutzt, SERVINELLA glotzt über die Tischkante.
BIANCA schaut aus dem Versteck, flüstert aufgeregt:
Mama, wollen wir nicht fliehen?
KATERINA, kampfeslustig:
Warum?
BIANCA findet das denn doch sehr peinlich:
Nun, wenn sie ihre künftige Schwiegertochter hier findet.
KATERINA, belustigt:
Ist es nicht mindestens so pikant, dass wir unsere künftige Schwiegermutter hier finden? Noch dazu als Mönch!?
Sie ist zur Kammertür gegangen und stellt sich provokativ in den Rahmen:
Muhme?…
FRANCESCA schreckt auf, sehr erstaunt:
Muhme?… Ihr hier?
KATERINA:
Verschluckt es, mich zu fragen, was ich hier suche: die gleiche Gabe wie Ihr!
FRANCESCA, reichlich hilflos:
Ich wills Euch erklären: Zwanzig Jahre fast habe ich gelebt wie eine Nonne. Aber dann war mirs, als beschwöre mich mein Gemahl auf dem Sterbebette, ich sollte noch einmal zu meinem Zauberer gehen…
KATERINA, mit diesem bissigen Hausfrauen-unter-sich-Vorwurf:
Und im Hause vermisst niemand die Erbin und Witwe?
FRANCESCA:
Cesare, der Sohn ist im Hause und bedenkt die Erbschaft.
BIANCA drängelt sich vorlaut dazwischen:
Und nicht unsere Hochzeit? So vermisst er mich gewisslich nicht.
ENZIO hat sich vom Lager erhoben und steht etwas abseits:
Darf ich auch mal was sagen?
DIE DAMEN beachten ihn gar nicht.
FRANCESCA, noch erstaunter:
Bianca, – du auch hier?
BIANCA, ganz schön frech:
Nur aus geziemender Sitte: Es steht einer Braut wohl an, dem wahren künftigen Schwiegervater ihre Aufwartung -
FRANCESCA springt auf und hält ihr den Mund zu.
ENZIO, weiterhin vergeblich:
Darf ich auch mal was sagen?
BlANCA nimmt FRANCESCAS Hand weg und schaut ENZIO an:
Und wenn ich bedenke, dass mein Cesare an verschwiegener Stelle ebenso blonde Haare hat
KATERINA, streng:
Bianca?! Woher weißt du das?
FRANCESCA, ebenso streng:
Vor der Ehe!
BIANCA spielt ganz braves Kind:
Oh, nichts Ehrenrühriges: Ich sah es ganz zufällig, als er eines Morgens sein Wasser an einer Mauer abschlug und keinen Blick auf sich gerichtet glaubte.
KATERINA, sehr beruhigt:
Ach so! Ich dachte schon…
ENZIO:
Darf ich endlich auch mal was sagen?!
KATERINA gibt ihm die Laute, lachend:
Nein, du darfst singen!
FRANCESCA nimmt ihm die Laute weg:
Doch nicht singen, wo wir so viele Küsse nachzuholen haben. Muhme, Bianca, geht! Ich will meinen Zauberer endlich ganz für mich allein.
Sie stellt sich erwartungsfroh vor ENZIO.
BIANCA schlüpft zwischen die beiden, zu FRANCESCA gewendet:
Die Schwiegermutter hat hier nichts zu befehlen!
Sie dreht sich rasch zu ENZIO:
Küss mich!
FRANCESCA schiebt sie weg:
Nein, mich! Mich!
KATERINA drängelt auch dazu:
Und ich?
ENZIO sträubt sich lachend:
Aber meine Damen! . .. .
Im Zurückweichen stürzt er auf das Lager.
DIE DAMEN stürzen lachend und prustend nach.
ENZIO schreit und lacht:
Weibervolk! Hilfe! Meine Laute! Passt doch auf!…
Der Scheppervorhang geht runter, und es wird dementsprechend leiser.
SERVINEILA sinniert skeptisch:
Also – der Kaiser kann eine Menge – aber das ist zu viel!
DER BÜHNENARBEITER kommt durch die vordere Gasse:
Da haben Sie aber völlich recht, meine Dame!
Er ruft:
Ede!, det is falsch! Ruff den Fünneffzehn! Wie solla det denn schaffen?! Drei uff eenmal! Er is doch nu ooch schon in Jahren.
Er geht ab.
Der Scheppervorhang geht hoch.
In der Kammer hat ENZIO eine erotische Kissenschlacht eröffnet, nicht gerade zimperlich schlägt er zu und erntet viel Gekreische und Gelächter. BIANCA liegt und strampelt mit den Beinen, FRANCESCA rollt vom Lager, KATERINA mischt mit und geht dann zur Tür.
Schon vor einiger Zeit ist nach Schließ-und Riegelgeräuschen
LUCIA hereingekommen, unverändert schön, aber hoheitsvoller, unnahbar, bitter die Züge des Mundes. Sie geht zur Kammertür, hört nach Aufgehen des Scheppervorhanges lauter werdendes Gekreische. Sie geht zu SERVINELLA, die sie anstupst:
Servinella, bringe den König vor mein Angesicht.
SERVlNELLA bedauert sehr:
Signora, ich kann nicht mehr gehn.
LUCIA geht zur Kammertür, die sie zögernd öffnet, und wird von einem Kissen fast gefällt, mit dem ENZIO KATERINA treffen wollte. LUCIA schreit:
Nein!
ENZIO stürzt sofort aus der Kammer, deren Tür er energisch hinter sich schließt. Er ist sehr bewegt:
Lucia!… Endlich wieder!
Er rennt zu SERVINELLA, kniet bei ihr:
Servinella, schnell die Haare so, wie die Frauen es lieben!…
LUCIA holt ihn mit einem kräftigen Griff hoch:
Lass deine dummen Witze! Ich bin hier aus Liebe …
ENZIO will sie umarmen:
Ja!
LUCIA entzieht sich handgreiflich:
ENZIO, ganz schön belämmert:
Bi-bianca?,…
LUCIA:
Ja, mein überaus süßes Patenkind Bianca da Galuzzi.
ENZIO, tonlos stotternd:
Bianca da Gal- äh…
LUCIA, deutlich akzentuierend:
Da Galuzzi! Ja! Hämmer dir den Namen in dein schwaches Hirn!
Sie schlägt ihm recht lieblos vor die Stirn:
Verschone sie! Das arme Ding könnte wie alle Bologneser Jungfrauen die Sehnsucht haben, die Hitze ihres Schoßes bei dir zu löschen. Sie ist zu schade für dich! Du zerstörst ihre Hochzeit. Sie wird deinen Sohn heiraten.
ENZIO versteht etwas langsam:
Aber unser Bentivoglio ist doch schon verhei..
LUCIA unterbricht ihn grimmig:
Als ob unser Sohn dein einziger wäre auf Bolognas Pflaster! Sie wird Cesare di Guida dei Lambertini heiraten, die Frucht deiner verfluchten Kopulation mit dem Sündenfall Francesca. Und es ist meine letzte und einzige Bitte, die ich noch an dich habe: Zügle nur dieses eine Mal deine widerliche Jungfrauenfresssucht und verschone Bianca da Galuzzi.
BIANCA kommt frech aus der Kammer:
Da bin ich, Tante! Es war einfach himml-
Sie stürzt heftig über den Balken und entblößt einiges Fleisch:
Huch!
LUCIA fehlen die Worte.
ENZlO ist um so eloquenter. Mit der einen Hand reißt er BIANCA hoch, während er mit der anderen LUCIA beschwört:
Ich bin unschuldig, Lucia! Ich sah die Jungfer Bianca über die Piazza eilen und fand sie so überaus begehrenswert, …
LUClA, tief verletzt:
Oh, die alte Leier!, – und als sie hier oben war, … ?
ENZIO ist schon reichlich gemein:
… fand ich sie überhaupt nicht mehr begehrenswert.
LUCIA, gequält:
Weiter:, – aber … ?
ENZIO merkt nicht, wie stupide er ist:
… da fand sie mich begehrenswert… Und weil der Mensch ein kompliziertes Fleisch ist, …
LUCIA vollendet:
… verlässt sie diesen Saal als falsche Braut.
BIANCA, vertrauensvoll zu LUCIA:
Aber Tante, es war einfach himmlisch. Er hat …
Sie will ihr kichernd etwas zuflüstern.
LUCIA, zornig abwehrend:
Flüster du mir nicht ins Ohr, was er hat! Ich weiß es! Als du noch keinen Atem hattest, wusste ich es schon!
Ganz grimmig:
Und es ist süß!, – ja doch!
BIANCA:
Tante, was ist Glück?
LUCIA weiß es nicht, plötzlich nachdenkend:
Ja, – was ist das?..
Eine Kirchenglocke läutet.
KATERINA, in der Kammer, aus der sie zu spähen versucht, sehr erschrocken zu FRANCESCA flüsternd:
Die Vesper-Glocke! Mein Gemahl wartet! Ich bin des Todes!
Sie tritt aus der Kammer, sehr verlegen zu LUCIA:
Gott grüße dich, Muhme… Ich will nur eben – nur eben gehen…
Sie will sich zur Tür schlängeln.
LUCIA vertritt ihr den Weg:
Was denn? Die Mutter auch hier?
FRANCESCA tritt aus der Kammer:
Ich’ auch…
LUCIA steigert sich in eine große Wut:
Noch eine Mutter! Der Sündenfall! Was euch allen gebührt, ist dies!
Sie holt eine Peitsche aus dem langen Ärmel und steht wie eine Rachegöttin vor den Frauen.
KATERINA wimmert:
Enzio, hilf uns doch hier raus!…
LUCIA hebt die Peitsche:
Nicht eher, als bis ich euch allen die gerechte Strafe ins Gesicht geschrieben habe!
DIE DREI FRAUEN schreien und brechen zusammen:
Hilfe! Alle Heiligen! Enzio!…
ENZIO windet LUCIA die Peitsche aus der Hand und klopft an die große Tür.
LUCIA kämpft vergebens um die Peitsche:
Lass mir meine letzte Waffe!…
Schließ- und Riegelgeräusche.
DER SOLDAT öffnet die Tür.
DIE DREI FRAUEN wuseln raus.
BIANCA wagt es, ENZIO noch einmal zu küssen.
LUCIA springt mit einem Wutschrei dazwischen.
BIANCA entwischt mit einem Lachen.
LUCIA will auch gehen.
ENZIO, sehr liebevoll:
Bleib du bitte, ich habe mit dir zu reden.
Nach draußen rufend:
Schließt die Tür!
Das tut DER SOLDAT.
Schließ- und Riegelgeräusche.
LUCIAS Versuch zu gehen, war halbherzig. Jetzt steht sie wie angewurzelt dicht vor der verschlossenen Tür.
ENZlO weiß nicht recht, wie er anfangen soll:
Warum bist du so lange nicht mehr zu mir gekommen?
Nach einer kleinen Weile wird er schnoddrig-mutiger.:
Ich danke dir, dass du mich befreit hast von dem Weiberregiment. Ich will sie ja alle nicht!
LUCIA beugt den Kopf tief, schüttelt ihn fast unmerklich, schlägt mit einem knappen Seufzen die Hände vors Gesicht.
ENZIO wirft die Peitsche in die Ecke, geht zu ihr, dreht sie behutsam um, nimmt ihr die Hände vom Gesicht, küsst die Innenflächen, legt einen auf die Wange.
LUCIA schaut ihn an, reißt sich dann heftig los und flieht auf größte Distanz.
ENZIO, nicht ohne blauäugige Ehrlichkeit:
Dabei verstehe ich dich so gut. Du rätselst, was uns Männer treibt. Aber du kannst nicht den Stall mit der Peitsche säubern, um dann zu verstummen.
Er geht sein dringliches Thema an mit neuem Ton:
Ich brauche deine Hilfe.
Da sie bewegungslos bleibt und schweigt:
Lucia, dein Schweigen ist der Graus des Dichters. Verwehre dem Sünder nicht, dich zu lieben. Verstumme mir nicht.
Dringlicher:
Deine Hilfe ist mir heute unentbehrlich!
LUCIA, bitter abweisend:
Du brauchst nichts mehr von mir, nichts.
ENZIO hat es noch leicht, überlegen zu sein:
Solche Bitternis macht töricht, Lucia. Es liegt nicht in deiner Macht zu wissen, was dieser Tag noch bereithält.
LUCIA, in Not verschlossen:
Gut. So wisse, dass ich nichts mehr zu geben bereit bin. Auch kein Wort weiter.
ENZIO erkennt, doch einige Mühe zu haben:
Lucia, ich beschwöre dich bei unserer alten Liebe!, – sie hat doch in diesem Saal ihr Leben gelebt. An diesem Pfeiler hast du gelehnt, und ich habe dich versiegelt. Es gibt keine Stelle, wo wir einander nicht geküßt hätten, – hier – hier – hier – überall!
SERVINELLA:
Ich kanns beschwören.
LUCIA resümiert eiskalt:
In diesem Saal verwest die Leiche unserer Liebe. Sie stinkt. Bewahre dich, sie anzurühren. Das Leichengift könnte dich fällen!
ENZIO:
Dein Redegegenstand ist ekelhaft. Aber dass du nur wieder redest…
LUCIA:
Jahrelang hab ichs ertragen, dass ganz Bologna sein Gift über die betrogene Geliebte des Gefangenen verspritzte. Verzweifelt habe ich nach der Sünde gesucht, die in meiner Liebe haust. Ich finde sie nicht.
ENZIO, so was weiß er ich dann eben auch:
Weil sie vergeben ist.
Er ist auch eifersüchtig:
Seit einem halben Jahr warst du nicht mehr bei mir, verweigerst dich mir. Warum?
LUCIA muss in Gedanken lächeln:
Weil – ich bin dir keine Rechenschaft schuldig!
ENZIO ist denn doch sehr eifersüchtig, verwundert:
Du lächelst – ist da ein anderer Mann?
LUCIA:
Ein Mensch – ja… Aufs neue gefesselt, so süß gefesselt…
ENZIO, hilflos irritiert:
Aber Lucia, wie kannst du mir das antun – dem Gefangenen!
LUCIA kommt genau auf den Punkt:
Dem Gefangenen, der nie begriffen hat, was diese Mauern an Reichtum der Treue bargen. Du hättest der Welt ein Beispiel geben können. Stattdessen entjungferst du deine Schwiegertochter!
ENZIO, reichlich platt:
Ist mir richtig peinlich.
LUCIA:
Es ist neu, dass dir auf diesem Felde etwas peinlich ist.
ENZIO, leichtfertig grinsend:
Freilich ist es auch lustig.
LUCIA, abgestoßen:
Du bist abscheulich!
ENZIO will naiv gutmachen:
Aber wo ich doch ein Gefangener bin…
LUCIA bricht leidenschaftlich aus:
Hör auf mit deinem ewigen Geleier vom armen Gefangenen! Gefangen war ich! Ich, der eifersüchtigste Mensch unter Gottes Himmel, falle in verzehrende Liebe zu einem in Ketten Geschlossenen und baue auf die Treue, die das Gefängnis gewähren sollte, – und muss erleiden, dass ich dem geilen Bock aus Satans Hölle verfallen bin, dem das Weiberfleisch durch die Mauern nur so zuflog – weiß keiner, wieso…
SERVINELLA
Ich weiß das schon.
LUCIA beschimpft auch sie:
Du sei still, du infame Kupplerin! Du bist an allem schuld! Kaum eine Stunde nach unserer Hochzeit hast du ihm den Sündenfall Francesca untergeschoben!
ENZIO, voller Bewunderung, aber zu wenig betroffen:
In dir ist die ganze Hitze Gottes…!
LUCIA, abweisend:
Gott ist ein Mann.
ENZIO:
Und treu. Wie liebe ich deinen Zorn!
LUCIA:
Wie wenig ist mir an deiner Liebe gelegen.
ENZIO fädelt nicht ganz ohne Raffinesse ein:
Ich warne dich vor anderen Männern, die dich lächeln machen, denn wir wollen heiraten.
LUCIA reißt denn doch den Kopf, sie schaut fassungslos.
ENZIO baut darauf:
Späte Hochzeit, gewiss, aber …
Er sucht ihre Nähe, verschwörerisch:
Meine Freiheit steht bevor. Und das ist auch: unsere Hochzeit. Heute noch werde ich aus diesem Gefängnis fliehen. Bald schon werde ich die Kaiserkrone tragen und der heillos zerstrittenen Welt den Frieden bringen. Du musst zum Gelingen helfen.
LUCIA merkt kaum, dass sie in die nächste Gefangenschaft gerät:
Was kann ich dazu tun?
ENZIO:
Es ist etwas heikel…
LUCIA:
Rede, du bist sonst nicht zimperlich.
Über sich selbst verärgert:
Ich glühe schon wieder, die ich kalt bleiben wollte bis ins Herz!…
ENZIO lächelt durchtrieben:
Glut ist der Sache dienlich.
LUCIA wird ungeduldig:
Rede endlich: Was soll ich tun?
ENZIO öffnet die Tür zur Kammer, einladend:
Ein Kissen nehmen, denken, es sei mein Leib, es herzen, küssen, kosen, lachen, seufzen, alle Wonnen hören lassen, wie wir es tausendfach miteinander gespielt haben.
Er hat ein Kissen genommen und damit etwas albern lasziv herumgespielt
LUCIA hat das Ansinnen noch nicht verkraftet, tonlos:
Und du?
ENZIO
Mich transportiert derweilen ein bärenstarker Küfer in einem Weinfass extra muros.
Auch seine Rolle ist mieslich, Lucia soll ja nicht denken…:
Auch nicht grade verlockend für einen Kaiser, aber –
LUCIA kann sich nur schwer fassen:
Welcher Teufel hat mir diese Rolle zugedacht?
ENZIO:
Kanzler Pietro Arsinelli. Ich habe ihm gleich gesagt, dass du nicht gerne spielst, aber – Nun, so teuflisch doch wiederum nicht, bedenkst du, wie du meinen Peiniger MicheIe degli Orsi täuschst.
LUCIA schüttelt es vor Ekel:
Solch Schauspiel für Michele degli Orsi… Wer sagt dir, dass ich es tun werde?
ENZIO kann ihr Zögern nur schwer nachvollziehen:
Lucia, kannst du dich diesem Dienst wirklich verweigern? Deine Tat wird dazu helfen, dass die kaiserlose Zeit im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation endlich Vergangenheit wird!
LUCIA fühlt nur ihre Demütigung:
Ich will so einen wie dich nicht zum Kaiser.
ENZIO, endlich einmal ehrlich erkennend:
Wie tief muss ich dich verletzt haben…
LUCIA horcht auch gleich auf:
Sag das noch einmal!
ENZIO:
Ich habe dich tief verletzt, immer wieder.
LUCIA:
Oh, hättest du dieses Wort nur ein einziges Mal gesagt in all den vielen Jahren… Stattdessen immer nur Geschwätz und Witze…
ENZIO wirft ihr leichtfertig das Kissen zu:
Nimm also, – ein Balg mehr.
LUCIA fängt das Kissen und hat es wirklich wie ein Kind im Arm. Sie gibt zu bedenken:
Was wird, wenn der Betrug auffliegt?
ENZIO, leichtfertig:
Tu so, als schliefen wir. Schnarche für zwei.
LUCIA beharrt:
Irgendwann wird die Tür geöffnet!?
ENZIO denkt an sich:
Dann bin ich längst in Sicherheit.
LUCIA, mit wachsender Sorge:
Du! Aber meine Sicherheit?!
ENZIO:
Das findet sich.
LUCIA gefällt seine Leichtfertigkeit nicht:
Warte, Enzio: – die hohe Politik hat also nicht bedacht, dass man eine Hochverräterin finden wird, die mit ihrem Liebesgestammel die Republik Bologna zum Gespött gemacht hat?!
ENZIO will beschwichtigen:
Lucia, Geliebte, Kanzler Arsinelli wird auch das bedenken und eine Lösung finden… Wir befreien dich, der Thron an meiner Seite wartet auf dich!
LUCIA räsoniert sehr nachdenklich:
Es sollte wirklich alles gut werden?
ENZIO wird wieder euphorisch:
Es ist überirdisch schön zu denken, dass ich aus allem Getümmel der Welt immer wieder zu dir heimkehren kann.
LUCIA:
Ich bin rasend eifersüchtig! Auf alles Getümmel!
ENZIO:
Welch schönes Gewürz!
LUCIA bittet inständig:
Nimm mich mit in die Welt!…
ENZIO will nichts dergleichen und argumentiert sehr ungeschickt:
Nicht doch! Es finden sich Blümchen genug am Wegrand.
LUCIA ahnt ihre ganze Schwäche:
Du hast andere Frauen?
ENZIO ist die Frage unverständlich:
Wieso nicht? Ich selbst bin solche Frucht aus meines Vaters Lenden.
LUCIA verkraftet das schwer:
Aber du willst doch anders werden! Ein Friedenskaiser!
ENZIO:
Was hat der Friede damit zu tun, dass ich Kebsen habe?
LUCIA weiß die knappe Antwort:
Alles.
ENZIO versteht die ganze Thematik nicht:
Ich weiß wirklich nicht, wovon du sprichst. Treu sind die Heiligen, aber die heiraten nicht.
LUCIA empört ihr Recht einklagend, anklagend, größer, ärmer als er:
Aber ich liebe dich doch!
ENZIO, brutal konternd:
Da bist du nicht die einzige.
LUCIA sackt nach kurzer Fassungslosigkeit in die Knie und sucht in der Kammer herum, unter dem Bett, Kissen werfend, murmelnd:
Wo bist du? Komm, tu endlich, wozu du von Anfang an bestimmt warst…
ENZIO will das ihm unverständliche Getue gereizt beenden:
Was suchst du denn da unten herum? Hier bin ich! Hier!
Er öffnet die Arme:
Meine Arme, sich um deinen Leib zu schlingen!…
LUCIA hat den Dolch gefunden, hält ihn drohend in der erhobenen Rechten.
ENZIO, erstaunlich kaltblütig:
Für dich – oder für mich?
LUCIA:
Wage nicht, dich mir zu nahen!
ENZIO geht auf sie zu, ahnt mehr, als dass er weiß:
Ich habe dich schon wieder verletzt… Verzeih mir!
Er umarmt sie in voller Liebe.
LUCIA lässt fast unmerklich den Dolch sinken, dann polternd fallen, umarmt ihn.
Du bist sehr mutig. Und sehr dumm.
ENZIO:
Und sehr verliebt…
Die Türflügel schlagen auf.
EIN FASSTRÄGER stolpert mit einem leeren Fass herein. (In Legendenform ist dieser Fluchtversuch als quasi-historisch belegt. Es muss also ein Fass sein, in das sich ENZIO quetschen kann, es muss sich wie ein Koffer – etwa einer Bassgeige – öffnen und schließen lassen. Und es muss ein FASSTRÄGER von entsprechender Kondition sein). Er meutert:
Ein leeres Fass in einen Palazzo tragen!…
PIETRO kommt eilig hinzu:
Ja doch – schon recht!
Er versucht angesichts einer Panne Fassung zu bewahren, eilt zu ENZIO.
DER SOLDAT ist auch etwas verwundert reingekommen.
DER FASSTRÄGER:
Nie mein Lebtag trug ich ein leeres Fass in solchen Saal!
ENZIO, zwischen Entsetzen und Amüsiertheit:
Ist das dein Liebster?
PIETRO, genervt, auch leise:
Aber nein! Eine Panne! Mein Küfer steht unten!
DER FASSTRÄGER erzählt recht bedächtig-anschaulich:
Geh ich da über die Piazza, seh ich den Küfer Bruno ein Fass tragen. Holla, denk ich, das verbietet die Gewerkschaft der Fassträger. Wir müssen sehn, wie wir unsre Taxen eintreiben. Hab ich ihm das Fass abgenommen – leer dennoch – auf Befehl dieses Herrn – die Treppe rauf…!
DER SOLDAT will gehen, aber…
PIETRO hält ihn auf:
Halte die Tür geöffnet, Comandante, und sorge, dass die Treppe frei ist. Das Fass muss auf die Piazza runter.
DER SOLDAT geht raus.
DER FASSTRÄGER schiebt das Fass mit Fußtritten zur Tür:
Erst rein, dann raus…
PIETRO dirigiert ihn nervös zur Kammertür:
Nein, zuerst dorthin, zur Kammer!
DER FASSTRÄGER wird zunehmend verwirrter, sucht Trost bei ENZIO:
Der Herr ist nicht ganz richtig, oder?
ENZIO will nie und nimmer in dieses Fass:
Ein Irrtum das Ganze. Trag es raus – leer!
PIETRO rennt zu ENZIO, beharrt heftig:
Nein! Hierher das Fass!
Leise zu ENZIO:
Ich beschwöre dich! Wir müssen es dennoch wagen! Alles andere verläuft genau nach Plan!
DER FASSTRÄGER steht bewegungslos:
Zwei Herren kann ich nicht dienen.
LUCIA greift entschieden ein:
Guter Mann, gehorche dem Messere Arsinelli: Bringe das Fass zuerst dort zur Kammer und dann auf die Piazza.
DER FASSTRÄGER, genießerisch:
Eine so schöne Dame und schimpft mich Guter Freund? Zu Diensten, Signora.
Er malträtiert das Fass mit Schubsen und Tritten Richtung Kammer.
DIE ANDEREN sehen es mit Entsetzen.
PIETRO beschwört ihn:
Was malträtierst du das Fass derart?!
DER FASSTRÄGER:
Lehrt Ihr einen Fassträger, wie er mit Fässern umgehen soll!
ENZIO, leise, hysterisch:
Das ist mein Sarg!…
LUCIA:
Behutsam doch!
DER FASSTRÄGER:
Leere Fässer fühlen nichts!
PIETRO, bang:
Und wenn es voll ist?
DER FASSTRÄGER ist auch ein Poet:
Da trage ich es, als wäre es die Wiege unseres Herrn Jesus. Wein ist eine Gottesgabe.
PIETRO ergreift rasche und erleichtert die Gelegenheit:
Höre, Fassträger, dieses Fass ist voll, wenn du es raus trägst.
DER FASSTRÄGER, zu ENZIO und LUCIA:
Der Herr ist nicht ganz richtig, sagt ichs doch.
PIETRO:
Du scheinst mir nicht geübt im Wunderglauben!…
DER FASSTRÄGER versteht oder meint zu verstehen:
Ach so! Sprudelt da drin eine Weinquelle?
PIETRO:
Nein, das Fass wird schwanger.
LUCIA, liebvoll:
Und du wirst es tragen, als sei ein Wein von vielerlei Gnaden drin.
PIETRO:
An Geld über die Taxe hinaus soll es nicht fehlen.
DER FASSTRÄGER tätschelt kennerisch das Fass:
Kam mir gleich so wunderträchtig vor…
PIETRO schiebt ihn zur großen Tür:
Fassträger, sieh zu, dass die Treppe frei ist!
DER FASSTRÄGER geht raus:
Jajaja. . .
ENZIO, zwischen Eifer und großer Angst:
Wie geht es auf? Wie soll ich da rein?
PIETRO sucht fieberhaft rum, findet den Öffnungsmechanismus:
Dass aber auch unser Plan – mein Bruno steht auf der Piazza… Hier!
Er öffnet das Fass.
Steig ein, Majestät!
ENZIO flieht in LUCIAS Arme:
Ich will nicht! Es ist mein Tod!
LUCIA schiebt ihn zum Fass:
Kaiser, wo bleibt dein Mut?!
Sie hält ihn unter den Armen, während PIETRO entschlossen seine Beine greift. Sie betten ihn ins Fass, schließen es, richten es auf.
PIETRO schiebt LUCIA in die Kammer:
Lasst uns nun der Liebe Schmachten hören.
LUCIA kann nicht mehr protestieren, geht in die Kammer, setzt sich auf die Liege.
PIETRO schließt die Kammertür, haut dagegen, zischt:
Los, was zögert Ihr?
LUCIA übernimmt die ihr von diesen Männern zugedachte Rolle: Sie spielt im Folgenden Liebe zwischen Selbstekel und schauspielerischen Meisterschaft. Sie lacht, gurrt, täubelt, schmatzt, stöhnt, ächzt, schreit, klatscht sich wohl mit der Hand auf den Hals und redet zwischendurch unverständlich oder laut:
Ja, endlich, Liebster, ach… Oh – Ah – ja, solange nicht, aber jetzt… Liebster, du tust mir weh … Weiter so, jajajaja – Nein, sage du jetzt nichts – jetzt nicht! … Aua!, nicht doch beißen, mein Engel!… Fasse mich ganz, Glück, Glück – Wonne… Oh – Ah…
Mag sein, dass sie aufsteht, sich an eine Mauer lehnt oder hin- und hergeht, Mimik und Haltungen widersprechen der ganzen Akustik und spiegeln die Tragödie, der sie sich da aus lauter Liebe aussetzt, der sie zum Opfer gefallen ist … Und schließlich bleibt es auch ein Stück lausige Komödie!
Ziemlich bald ist der Schepper-Vorhang runtergegangen.
DER BÜHNENARBEITER kommt wieder aus der vorderen Gasse.
Halt, Ede!, schon wieda falsch! Ruff den Fünnefzehn! Det spielt die Dame doch bloß, die is doch janz alleene, da brauchstedoch nich…
Der Schepper-Vorhang geht hoch.
DER BÜHNENARBEITER geht ab ins Publikum:
Tschuldijen vielmals…
FRANCESCA kommt rein, wieder in der Mönchskutte:
Jetzt aber endlich, – mein Zauberer!
DER FASSTRÄGER folgt:
Grade recht zu einem Wunder, hochwürdiger Vater!: Die Verwandlung eines leeren Weinfasses in ein volles. Gott steh uns bei, wenn es Teufelswerk ist…
FRANCESCA:
Wo ist mein Zauberer?
PIETRO zeigt mit teuflischen Grinsen zur Kammer:
Da drin.
FRANCESCA geht zur Kammertür und wird zur entzückten Ecouteurin, sinkt gar an der Tür zusammen:
Ja ja!, so war es – genau so…
PIETRO:
Fassträger an die Arbeit!, aber behutsam wie San Christoforo!…
MICHELE kommt rein, ungehalten:
Alle Türen sperrangelweit offen! Wo ist der Gefangene?
PIETRO empfindet sein Erscheinen als zusätzliche Belastung:
Da drin.
MICHELE überzeugt sich ebenfalls von der Akustik, abfällig:
Bei der ewigen Balz!…
PIETRO:
Wieso kommt Ihr jetzt, Messere degli Orsi?
MICHELE:
Stellt klügere Fragen, Messere Arsinelli. Euch abzulösen, Tramonto, Dienstbeginn, was sonst? Was soll das Fass hier mitten im Saal?
PIETRO:
Ja, eben, raus damit!
DER FASSTRÄGER trägt das Fass zur Tür:
Tatsächlich voll – schwer: – ein Wunder auf meinem Buckel!…
FRANCESCA hat etwas am Fass entdeckt und schreit plötzlich auf:
Halt!
DER FASSTRÄGER hält tischnah an, setzt ab:
Dies ist ein Tollhaus!
FRANCESCA stürzt über die Bank auf den Tisch und zeigt auf eine Stelle oben am Fass:
Was ist das?
PIETRO, sehr beunruhigt:
Wieso? Was ist da?
FRANCESCA:
Haare! Hier! Ein Haarschopf so blond, wie ihn nur einer hat in ganz Bologna!
PIETRO stürmt auf den Tisch, ihr den Mund zuzuhalten:
Was faselt die Blöde?!
Aber FRANCESCA entzieht sich ihm erstaunlich geschickt und umarmt das Fass, gleitet an ihm runter:
Mein Zauberer! Meinen Zauberer müsst ihr mir hier im Gefängnis lassen!…
PIETRO weist auf die Kammertür:
Aber so hört doch! Dort!
ALLE lauschen mit Spannung oder Grinsen auf
LUCIAS Liebesgestöhne:
Ja! Ja! Ja! Lass mir doch Atem, Liebster!…
PIETRO hat nun größte Eile und Sorge:
Nun aber runter mit dem Fass auf die Piazza und auf den Karren!
DER FASSTRÄGER setzt wieder an.
MICHELE geht zum Fass:
Halt! Erst will ich wissen, was es mit dem Blondhaar auf sich hat!
PIETRO stellt sich ihm in den Weg, in größter Not:
Messere degli Orsi!, dies ist mein Dienst!
MICHELE schafft sich handgreiflich Zugang zum Fass:
Schon eine ganze Weile ist es mein Dienst! Kein Strahl der Sonne trifft mehr die Türme Bolognas.
Zum FASSTRÄGER:
Öffne das Fass!
FASSTRÄGER:
Als Fassträger, wie der Name sagt, ist das Öffnen meine Sache nicht.
MICHELE sucht und findet die Fassöffnung, lässt sich von PIETRO nicht hindern. ENZIO stürzt aus dem Fass zu Boden.
MICHELE springt kurz zurück, zieht blank, stell einen Fuß auf ENZIO:
Verschwörung! Sturz der Republik!
PIETRO zieht auch blank, muss nun viel heucheln:
Wer hätte das gedacht?! …
LUCIA schreit auf einen ekstatischen Höhenpunkt.
ALLER Köpfe wenden sich zur Kammertür.
FRANCESCA rennt hin, stolpert über den Balken, reißt die Kammertür auf.
LUCIA verstummt abrupt und starrt entsetzt auf das Tableaux im Saal….
ALBINGO kommt mil einem mitteralterlichen Nachttopf rein:
Hoheit, die Nächte sind gerettet, ähä!
MICHELE schreit nach kurzer Stille:
Commandante!
DER SOLDAT erscheint.
MICHELE stülpt ALBINGO den Topf auf den Kopf:
Messere di Ebubo verhaften! Stürzt ihn ins tiefste Verlies! Er verriet die Republik!
DER SOLDAT führt den hilflosen, blinden, sich wehrenden ALBINGO brutal ab.
ENZIO:
Jetzt habe ich wieder keinen Topf zum Pinkeln! ….
MICHELE tritt von ENZIO zurück:
Messere Arsinelli, übernehmt die Bewachung des Gefangenen! Fassträger, raus!
DER FASSTRÄGER geht kopfschüttelnd.
PIETRO – mit welchem Gefühl setzt er den Fuß auf ENZIO:
Nun also – mein Gefangener…
MICHELE rennt zum Fenster, reißt es auf, schreit runter:
Sbirren! Hierher! Die Republik in höchster Gefahr! Bewacht das Portal! Keiner rein, keiner raus!
ENZIO, leise zu PIETRO:
Rette deine Haut, Kanzler!…
MICHELE wendet sich an PIETRO:
Helft mir, Messere Arsinelli, den Gefangenen abzuführen. In die Kammer!
ENZIO steht sehr behände auf und geht in die Kammer:
Rührt mich nicht an! Ich weiß, was sich für einen Gefangenen geziemt!
MICHELE stößt ihn, höhnisch:
Geziemt!… Als gezieme sich solch hinterhältige Flucht – in einem Weinfass!…
FRANCESCA will ENZIO umarmen:
Was habe ich getan?! O, was habe ich getan!…
LUCIA reißt sich weg und zückt den Dolch gegen sie.
FRANCESCA, leidenschaftlich ergeben:
Ja, stoß zu, Muhme! Willkommen, Tod! Ich wollte doch nur endlich wieder mit meinem Zauberer…!
LUCIA lässt den Dolch sinken, wirft ihn weg, verächtlich:
Du elende Ratte bist keinen Dolchstoß wert!…
MICHELE hebt einen Arm FRANCESCAS wie zur Siegespose hoch:
Die HeIdin heißt Francesca di Guida dei Lambertini. Sie rettete am Tage, da sie Witwe ward, die Republik!
FRANCESCA rennt heulend raus.
MICHELE hat überhaupt nichts verstanden.
Es überkömmt sie!…
LUCIA verschwindet unbemerkt.
MICHELE:
Messere Arsinelli, Ihr übernehmt meine Wache. Ich eile ins consiglio, dass wir der Verschwörung auf die Spur kommen. Und ich lasse mich zum Oberwächter proklamieren!
Er rennt zum Fenster und ruft raus:
Sbirren, geleitet die HeIdin Francesca di Guida dei Lambertini mit höchsten Ehren nach Hause! Und verhaftet Lucia da Viadagola wegen Hochverrates!
DER SOLDAT kommt rein:
Ein Mönch wünscht den Gefangenen zu sprechen.
ENZIO wehrt entsetzt ab:
Nein!, haltet mir die Mönchin vom Leibe!
PIETRO, aus dem Fenster schauend, so, dass ENZIO es hört:
Die kann es nicht sein, Francesca rennt gerade halbnackt über die Piazza davon.
ENZIO:
Dann lasst den Mönch eintreten – ich habe viel zu beichten.
MICHELE, sadistisch:
Ihr müsst den Oberwächter förmlich darum bitten. Wäre doch gelacht, wenn wir nicht endlich Zucht und Ordnung in dieses Gefängnis brächten!
ENZIO, stolz:
Das tue ich nicht!
MICHELE:
Dann gibt es keine Beichte!
SERVINELLA:
Ich würde es tun, Majestätchen.
ENZIO:
Wenn du das sagst, – Ich bitte den Oberwächter Messere degli Orsi mir die Gnade der Beichte zu gewähren.
LUCIA ist in der Mönchskutte reingekommen.
MICHELE, höflich:
Hochwürdiger Vater, der Gefangene erwartet Euch.
LUCIA eilt in die Kammer.
MICHELE schließt hinter ihr zu und geht zur großen Tür.
PIETRO folgt ihm sehr niedergeschlagen:
Was gäbe es für mich noch zu tun?
MICHELE:
Wachsam zu bleiben – nichts sonst.
BEIDE gehen raus.
Schließ- und Riegelgeräusche.
Ab hier Dämmerung, dann Dunkelheit.
LUCIA spielt den Mönch mit diskreter Komik, aber effektvoll:
Gelobt sei Jesus Christus.
ENZIO schmeißt alles, was auf dem Sessel liegt, auf das Lager, verstaut die Laute:
In Ewigkeit, Amen. Setzt Euch, hochwürdiger Vater und verzeiht die – äh
LUCIA:
Was?
ENZIO:
Die vielen Kissen…
LUCIA setzt sich so, dass die Zuschauer ihr im Laufe der Szene immer wieder ins verzückte Gesicht unter der Kapuze schauen können.
Ein jeglicher Gottesmann ist angetreten zu verzeihen.
ENZIO ist an einem Blick in dieses Gesicht gar nicht gelegen:
Ihr bringt dem verteufelten Ketzer den Herrn?
LUCIA grunzt tiefstimmig:
Hm.
ENZIO
Ihr wisst, dass ich unter dem Bannfluch des Papstes schmachte.
LUCIA:
Die Liebe endet nicht.
ENZIO, erfreut zustimmend:
Nein, nicht wahr? Dank für diesen ersten Trost, Pater – Wie ist Euer Name?
LUCIA zögert kaum:
Pater Lucius.
ENZIO, entzückt:
Lu – Lu Lucius!…
Plötzlich erschrickt er:
Sie wird nie wiederkommen.
LUCIA:
Wer?
ENZIO, zutiefst ehrlich bekennend:
Die ich liebe – von Ewigkeit zu Ewigkeit.
LUCIA:
Ist diese Liebe Eure Sünde?
ENZIO stellt bewegt richtig:
Aber nein! Mein bestes Teil!
LUCIA:
Und die Sünde also?
ENZIO:
Ihr nicht zur Genüge gesagt und gezeigt zu haben, wie sehr ich sie liebe von Ewigkeit zu Ewigkeit.
LUCIA möchte am liebsten wegschmelzen:
Sonst keine Sünden?
ENZIO, stoßseufzend:
Oh doch! Flössen sie ins Meer, es würde überlaufen und uns alle ersäufen. Die ewigen müßigen Geplänkel und Schlachten…
LUCIA:
Im Krieg?
ENZIO schüttelt den Kopf:
In der Liebe – als sei sie ein Krieg. Der Sündenfall Francesca gleich nach der Hochzeit. Ich wollte immer nur Opfer. Meine Eroberungswut, meine Siegestaumel, dass ich geil war, Standarten zu häufen: die Röcke der geliebten Feindinnen, Gebände, Ärmel, Tücher, Hemden, Hauben, Schnüre, Schnüre, Pater -: endlos Schnüre…
LUCIA, ‘streng’:
Sollte Eure Beichte nicht mehr vom Himmel handeln denn von Frauenkleidern?
ENZIO, erst eifrig, dann revozierend:
Jaja! Nein!, der Himmel hat sich mir in einem Ärmel verborgen.
LUCIA:
In einem Ärmel? Wie das?
ENZIO erzählt anschaulich:
Ich stand hinter ihr, die Hand auf ihrer Schulter, liebkosend, – rutschte unter ihren Arm, wo es süße feucht war, im hohen Sommer, – tastete mich vor, – Fingerspitze für Fingerspitze vor bis zu der Stelle.
LUCIA hat immer mehr Mühe, Pater zu bleiben:
Welche Stelle?
ENZIO:
Den Anfang…
LUCIA:
Anfang?
ENZIO:
… des Himmels. Wo es anfängt, dass die Frauen anders sind als wir Männer, wo sie mehr sind als wir. An den Rippen. Ich konnte nicht anders: die andere Hand wies zum Himmel hinauf… Und es ihr nie gesagt zu haben… Pater, verzeiht, ich rede von Dingen, die Euch ganz fremd sind.
LUCIA, spontan:
Aber nein!
ENZIO horcht auf, mit Schalk:
Nein? Ihr solltet wissen? Am Ende hättet auch Ihr etwas zu beichten?
LUCIA lacht männlich:
Das nun wieder nicht!
ENZIO:
Aber meine Rede ist unziemlich.
LUCIA kann gar nicht genug Unziemliches hören:
Vergesst alle Rücksicht auf das Ohr des Beichtigers. Er ist vieles gewohnt. Sagt mir alles im Namen der Liebe.
Es fällt ihr ein, rasch anzufügen:
… Gottes.
ENZIO, immer in großer Aufrichtigkeit:
Es ist mir so herzlich leid, die, die ich liebe, in tausend Tode gehetzt zu haben. Die Treue mit Füßen getreten, dass sie winselte. Kein Ohr für das Winseln der Freude. Aber der Riecher für Jungfrauen – immer a posto, und immer Sieger, und immer – nicht zu leugnen, Pater: die Süße der Siege… Pater:, der Nutzen der Reue wird erst im Himmel verrechnet, nicht wahr?
LUCIA:
Gottes Wege sind unerfindlich.
ENZIO:
Ihr meint, ich könnte schon auf Erden einen Zipfel Vergebung erhaschen?
LUCIA steht auf:
Das zu versprechen, liegt nicht in meiner Macht. Aber was meinen Teil angeht,
Sie stellt sich mit dem Rücken zu ihm:
Gebt Eure linke Hand unter meinen Arm.
ENZIO tut das verwundert, gestreckten Armes:
Was hat das zu bedeuten?
LUCIA:
So erteilen wir nach der neuen Regel die Absolution. Weist mit der rechten Hand zum Himmel.
ENZIO tut das, lacht etwas:
Welch neumodische Wege zur Absolution. Was hat sich nicht alles geändert in den neunzehn Jahren meiner Gefangenschaft!
LUCIA hat ein wenig nachgeholfen, dass er an die Stelle kommt. Sie streift die Kapuze ab.
ENZIO stammelt ganz leise:
Himmel – Himmel…!
Langsam nähert er sich ihr, beugt den linken Arm, legt den Kopf in ihren Nacken.
DER BÜHNENARBEITER tritt sehr behutsam auf:
Jetzt, Ede, den Füneffzehn!
Der Schepper-Vorhang geht mit möglichst wenig Schweppern runter.
DER BÜHNENARBEITER geht wieder. Mit diskretem Charme ins Publikum:
Herrschaftn – Zärtlichkeit nach zwanzich Jahren… .
Nach einiger Zeit Schließ- uznd Riegelgeräusche..
PIETRO kommt rein, misstrauisch an der Kammertür interessiert, fragt SERVINELLA:
Kennst du den Mönch, der da bei der Majestät drin ist, – schon so lange?
SERVINELLA, listig:
Wie wird er heißen? Lucius wahrscheinlich.
Es beschäftigt sie ewtas:
Messere Arsinelli, sie nennen die Signora Francesca dei Lambertini immer den Sündenfall, -
PIETRO, gering interessiert:
Warum nicht? Es wird schon stimmen.
SERVINELLA:
Es ist nur, – weil ich sie ihm untergeschoben habe. Werde ich nun in die Hölle kommen?
PIETRO lacht:
Schwerlich wird sich eine alte Kupplerin in den Himmel verirren.
SERVINELLA, geplagt:
O, wenn ichs nur wiedergutmachen könnte…
PIETRO:
Wie sollte dir das gelingen – liegend auf der Bank?
Er hat andere Sorgen, schaut aus dem Fenster, dann verschwörerisch:
Höre, Servinella, ich ahne nichts Gutes für den Rest des Tages. Ich werde fliehen müssen. Hier hast du meinen Schlüssel zu des Kaisers Kammer. Er ist bei dir besser aufgehoben als bei einem Verschwörer.
SERVlNELLA nimmt ihn, wirkt nachlässig:
Jaja.. .
PIETRO ermahnt sie dringlich:
Verwahre ihn gut! Was ich dir da gebe, ist mit keinem Goldstück aufzuwiegen. Was ich tue, ist Hochverrat!
SERVlNELLA:
Das mit dem Sündenfall Francesca, – das zwickt mich…
PIETRO geht zur Kammertür, horcht, zunehmend beunruhigt:
Das klingt nicht wie eine Beichte
Plötzlich bricht er aus:
O, alle Teufel und Heiligen!
SERVINELLA, sehr verwundert:
Was ist in Euch gefahren?
PIETRO stürzt zu SERVINELLA und rüttelt sie:
Servinella!, ich habe ihn so sehr geliebt! Neunzehn Jahre ihm selbstlos gedient!…
SERVINELLA, geschmerzt:
Was rüttelst du mich? Rüttle deinen Kaiser!
PIETRO, unglücklich und zornig:
Nie hatte er die Gnade, meine Liebe mehr als statthaft zu erwidern. Ich habe es edelmütig ertragen. Und nun treibt ers mit einem hergelaufenen Mönch!… Lucius!
SERVlNELLA, trocken:
Oder Lucia…
PIETRO, völlig verdattert:
Was?
SERVINELLA
Einer, der fliehen will, sollte nicht so langsam von Verstand sein.
PIETRO
Du meinst, Lucia da Viadagola ist da – ?
SERVINELLA:
Habt Ihr nicht selbst gesagt, dass die Mönchin Francesca halbnackt über die Piazza rannte? Wo mag ihre Mönchskutte sein?
PIETRO, langsam erleichtert:
Du meinst: da drin? Auf Lucias Schultern?
SERVINELLA, in alter Kupplerinnenfreude:
Wo sonst? Ob sie sie freilich in diesem Augenblick auf ihren Schultern trägt…?
PIETRO, ganz entlastet:
O, Servinella, wie hast du mein Herz erleichtert! Dank, Dank! Nun will ich aber fliehen!
SERVINELLA:
Als was?
PIETRO versteht nicht:
Wie: als was?
SERVINELLA:
Wenn Pietro Arsinelli die Lage in Bologna mulmig findet, sollte er als Pietrina fliehen. Nimm den Weibermantel da.
PIETRO wirft einen herumliegenden Frauenmantel über und tänzelt anmutig damit herum.
SERVINELLA:
Ich wusste gleich, dass er dir gut stehen würde.
PIETRO klopft an die große Tür, zieht den Mantel aus und rollt ihn zusammen, flüstert SERVINELLA zu:
Für später! Kein Geschichtsbuch wird jemals verkünden, was die gute Servinella für des Kaisers Rettung getan hat!…
Er küsst sie und rennt raus, denn
DER SOLDAT hat auf das Klopfen geöffnet und schließt dann wieder ab.
Nach einer kleinen Weile geht der Schepper-Vorhang behutsam- und also möglichst leise – hoch.
LUCIA und ENZIO in zärtlich entspanntem Aprés , noch nicht wieder richtig angezogen.
ENZIO:
Jetzt kann der Henker kommen.
LUCIA legt ihm den Finger auf den Mund:
Pst….
ENZIO:
Nun glaube ich aber nicht mehr, dass da ein anderer Mann in deinem Leben ist.
LUCIA lacht, etwas ausweichend:
Oh doch! Ein neuer Mensch!
ENZIO, in heiterer Eifersucht:
Wer sollte das sein? Wie alt ist er?
LUCIA:
O, jung, ganz ganz jung…! Ein Verwandter von dir.
ENZIO versteht nun gar nichts mehr:
Dein Liebhaber und mir verwandt?
LUCIA:
Uns verwandt.
ENZIO lacht etwas gequält:
Oh, Lucia, erlöse mich mit des Rätsels Lösung!
LUCIA:
Unser Sohn Bentivoglio ist Vater geworden.
ENZIO reißts:
Was? Und ich?
LUCIA:
Du – Großvater. Deine Enkeltochter heißt Antonia di Bentivoglio. Vor sechs Monden kam die Herzenstaube zur Welt.
ENZIO:
Und das sagst du mir erst jetzt? Warum so spät?
LUCIA, mit heiterem Spott:
Es war immer so voll in deinem Stall. O, Antonia, Tonina ist so allerliebst! – besonders, wenn sie weint.
ENZIO, verständnislos besorgt:
Allerliebst, wenn sie weint?..
LUCIA:
Ja, ich muss so lachen, wenn ich das kleine Geschöpfchen weinen sehe.
ENZIO, fassungslos:
Lachen? Bist du des Teufels?!
LUCIA:
Du würdest auch lachen.
ENZIO, kategorisch:
Niemals!
LUCIA:
Doch! Ich werde sie dir über die Piazza tragen. Und du schaust aus dem Fenster!
ENZIO, sofort eifrig:
Wann? lch kann es nicht erwarten!
LUCIA:
Heute abend – beim Angelus-Läuten.
ENZIO gibt zu bedenken:
Eine Lucia da Viadagola kann nicht beim Angelus-Läuten ihre schreiende Enkeltochter über die Piazza tragen. Das verstößt wider jede Sitte!
LUCIA ist jetzt sehr erfinderisch:
Ich verkleide mich und foppe zugleich MicheIe degli Orsi. Ich gehe als arme Frau und tue so, als wollte ich den Bastard an der Klosterpforte bei den Franziskanern aussetzen.
ENZIO, besorgt:
Und wenn sie grade nicht weint? Könnte sie nicht Opa rufen? Bring es ihr rasch bei!
LUCIA lacht:
Oh, du Nichtvater! Ein Kind von sechs Monden spricht doch noch kein Wort! Sie wird bestimmt nicht weinen. Sie liebt es, von mir herumgetragen zu werden.
ENZIO, klagend:
Wie also soll ich dann zu meinem Enkelweinen kommen?
LUCIA:
Ich werde sie zwicken.
ENZIO:
Untersteh dich, meine Antonia zu zwicken! Zeige mir, wie sehr.
Er hält ihr eine Wange hin.
LUCIA zwickt ihn:
So.
ENZIO, fast schon geschäftsmäßig:
Gut, das erlaube ich. Aber erst zwicken, wenn das Angelus-Läuten vorüber ist, weil sonst das Weinen im Geläute untergehen könnte. Und führe eine Lampe mit dir, die ihr Gesicht bescheint!
LUCIA:
Ich merke, dass die süße Tonina einen Strategen zum Großvater hat.
ENZIO:
Bis eben hatte ich nur noch eine Zukunft…
LUCIA, besorgt, sucht auf dem Boden herum:
Sage nicht: den Tod.
ENZIO:
Was suchst du schon wieder?
LUCIA:
Immer wieder die Waffe. Dein Leben
ENZIO lacht sehr beruhigend:
Sei unbesorgt: ein Großvater stürzt sich nicht ins Schwert… Ich habe ja jetzt eine neue Zukunft: das allerliebste Weinen meiner süßesten Enkeltochter Antonia.
LUCIA:
Ich werde ihr alle deine Sünden erzählen.
ENZIO:
Wann? Wenn sie schon alles versteht?
LUCIA:
Nein, morgen, – da versteht sie noch kein Wort.
ENZIO:
Dann wird sie mir alles vergeben. Genau wie du – mein Gottesbote…
Schließ- und Riegelgeräusche.
MICHELE stürmt rein, Leinwand in Händen und ENZIOS goldene Fessel:
Wo ist der Wachhabende?
ALBINGO stürmt nach, den Nachttopf in Händen:
Wieso bin ich frei?
MICHELE ist sehr aufgeregt und durcheinander:
Weil Eure Unschuld erwiesen ist. Messere Arsinelli ist der Verschwörer! Ihm gebührt das Nachtgeschirr auf den Kopf! Servinella, wo ist er?
Er rüttelt sie rüde.
SERVINELLA, mürrisch, sich rausredend:
Wo soll er denn sein?
MICHELE schlägt die Fenster ein:
Messere di Ebubo, hängt wieder Leinwand vor die Fenster! Den Blick auf die Piazza zuschließen!
Er schmeißt wahllos möglichst Luxuriöses aus dem Fenster:
Und alles raus! Das Ende des Harems!
ALBINGO schmeißt den Topf raus:
Ähä!
Dann flickt er Leinwand über die Fenster.
MICHELE:
Nein, helft mir zuerst, den König zu fesseln.
Er schließt die Kammertür auf.
Der Lärm hat LUCIA und ENZIO aufgeschreckt und sich schnell anziehen lassen.
MICHELE, barsch:
Eure Arme, Gefangener!
Er und ALBINGO fesseln den kaum sich wehrenden.
ENZIO:
Nein, haltet ein!…
MICHELE, bei der „Arbeit“:
Hochwürdiger Vater, es wird Euch freuen zu hören, dass es nie wieder einer Frau erlaubt sein wird, den gefangenen König zu besuchen. Nach neunzehn Jahren haben wir es endlich mit Brief und Siegel vom hohen consiglio.
LUCIA, mit grässlicher Ironie und auch einer Spur sadistischer Genugtuung:
Gelobt sei Jesus Christus…
ALLE ANDEREN:
In Ewigkeit, Amen.
ENZIO hat genug Fassung, etwas Wunderbares zu tun:
Vorsichtig, ehrwürdiger Vater: über diesen Balken sind viele gestolpert.
LUCIA übersteigt mit Anmut den Balken:
Ich danke dir für deine Aufmerksamkeit, mein lieber Sohn. Der Friede des Herrn sie mit dir…
Sie geht raus.
MICHELE wütet weiter:
Alle Kissen raus, Messere di Ebubo! Eins genügt! Das ist das Ende des Harems!
Er wirft ALBINGO Kissen zu, der sie aus dem Fenster wirft..
MICHELE nimmt die Laute:
Raus aus dem Fenster!
ENZIO leidet sehr:
Nicht meine Laute!
MICHELE, böse logisch:
Wie will denn der gefesselte König noch Töne zupfen?
Er wirft sie ALBINGO zu, der sie aus dem Fenster wirft.
(Müßig zu sagen, dass auf dem Pflaster der Piazza alles mit hässlichem Gescheppere ankommt!)
MICHELE findet den Dolch, zieht albernerweise sein Schwert:
Hier! Der Gefangene war bewaffnet! Dieser Stahl galt meinem Herzen! Wo ist Messere Arsinelli?
ALBINGO:
Lassen wir ihm den Tisch?
MICHELE:
Servinella, raus! Allen Frauenspersonen ist das Gefängnis verboten!
ENZIO:
Sie kann nicht mehr gehen!
ALBINGO, böse albern:
So werfen wir sie auch raus, ähä!
MICHELE:
Nein, wir müssen sie peinlichst verhören. Sie weiß, wo der Arsinelli steckt. Aber später. Ich muss noch einmal ins consiglio.
Er haut das Fenster so zu, dass die Leinwand festklemmt, mit dem Schwertknauf schlägt er die Fenstergriffe ab.
ENZIO will dem wehren:
Aber ich muss sie doch sehen!…
MICHELE beachtet ihn gar nicht:
Messere di Ebubo, Ihr bleibt als Wachhabender und wartet weitere Weisung ab.
ALBINGO geht raus:
Warte weitere Weisung ab.
MICHELE:
Der Gefangene in die Kammer!
Er zieht ENZIO, der sehnsüchtig am Fenster steht, wie Weiland Lambertino an der Kette in die Kammer.
ENZIO kann sich, gefesselt, nicht wehren, stürzt über den Balken
Au!
MICHELE bugsiert ihn brutal in die Kammer.
Das Angelus-Läuten setzt ein.
ENZIO erstarrt eine Sekunde:
Das Angelus-…
Er drückt mit großer Kraft die Tür im letzten Moment noch einmal auf, stellt einen Fuß dazwischen.
MICHELE stößt ihn zurück und tritt ihm heftig gegen das Schienbein.
ENZIO stürzt aufschreiend rücklings in die Kammer.
MICHELE schließt die Kammertür ab, geht raus.
Schließ- und Riegelgeräusche.
ENZIO tritt gegen die Tür, hämmert dagegen:
Lasst mich raus!… Das Weinen meiner Antonia Bentivoglio… Wachhabender!
Er sinkt an der Tür zusammen:
Ich will doch nur meine Enkeltochter weinen hören!… Tonina, winzige Jungfrau… Servinella!, ich will dich kaiserIich lohnen, verkupple mich mit dem Enkelkind! Ein letzter Gang, ich flehe dich an! Hole den Wachhabenden!…
Er ist ein Häufchen Elend, legt das Ohr an die Tür
In diese Finsternis dringt kein Enkelweinen…
SERVINELLA schiebt mit überraschender Kraft den Tisch zurück, er kann auch umstürzen, richtet sich auf, rutscht das Gebände zurecht, leise:
War schön die Zeit mit dir, Kaiser…
Sie schleppt sich tiefgebeugt, gekrümmt, eigentlich gehunfähig, zur Kammertür, in die sie den Schlüssel steckt.
ENZIO horcht gespannt auf:
Ebubo? Pietro? Servinella?..
SERVlNELLA schließt mit einiger Mühe auf:
Ja, ich, Majestätchen…
ENZIO schlägt die Tür so ungestüm auf, dass er
SERVlNELLA tödlich trifft. Sie sackt mit einem Schmerzenslaut zusammen.
ENZIO merkt es nicht, stürmt zum Fenster, das er vergeblich zu öffnen versucht:
Der Himmel segne dich, Servinella, – aber ein wenig schneller hättest du sein können. Hat sie etwa schon geweint?
Er lauscht in die Totenstille.
Ob sie schon geweint hat? Servinella, übe dein Mundwerk!
Er stutzt:
Servinella?..
Er geht zu ihr, prüft die Augenlieder, tonlos:
Tot.
Rekonstruierend bewegt er die Tür ein wenig, schaut seine Hände an:
Dass bleibt meine Profession…
Die Komödie endet mit dem Schönsten und anrührendsten Babyweinen und- greinen, das je über die Piazza Nettuno in Bologna getragen wurde: dieser Weltuntergang, diese Verzögerungen, die Pausen, das Wiederaufflackern, das Verebben …
ENZIO stürzt zum Fenster und versinkt nach kurzer vergeblicher Bemühung, es doch noch zu schaffen, im Lauschen.
Das Weinen droht zu verebben.
ENZIO, leise, dringlich, in einen Dialog mit der Enkelin tretend:
Weiter!… Noch nicht aufhören – geliebte Tonina!…
Ein Nachweinen.
ENZIO, ganz versunken:
Nochmal. . .
Ein letztes Glucksen: – Weinensende.
ENZIO lacht so zärtlich, schluchzt wohl auch – und lacht…
Es dauert eine Weile, bis das Licht langsam verlischt und der Vorhang fällt.
Ende
***